1 From: Boris Kraut <krt@nurfuerspam.de>
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3 Date: Fri, 09 Dec 2011 03:07:09 +0100
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5 Message-ID: <20111209020709.5c6Tb2@silberbruch>
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8 To: undisclosed-recipients: ;
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9 Subject: SecondLife - Lernen und Interagieren als Avatar
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11 Frueher habe ich in Videospielen oft das Streben zum Realismus
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12 bemaengelt, da ich der Auffassung war, dass man mit einer moeglichst
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13 naturgetreuen Abbildung der bekannten Welt einfach die vielen
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14 Moeglichkeitern einer virtuellen Welt ignoriert. Im besten Fall hatte
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15 man realitaetsnahe Spiele, die gezielt (derzeit) unmoegliche Elemente
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18 Aehnliche Gedanken kommen mir bei SecondLife jetzt wieder: Wozu der
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19 Avatar? Welche Inhalte lassen sich nur ueber den Avatar erfahren?
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20 Versteht mich nicht falsch, ich bin nicht grundsaetzlich dagegen,
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21 immerhin legt ja allein der Name, SecondLife, es nahe, dass es hier um
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22 eine realitaetsnahe Simulation geht, dazu gehoeren eben "Avatare".
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23 Doch wo wird das wirklich genutzt und was verbaut man sich damit?
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25 Der Ausloeser fuer die Ueberlegungen war eine Praesentation, deren
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26 Sprecher ueber SecondLife zu den Zuhoerern sprach, die Folien zum
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27 Vortrag liefen aber nur lokal mit -- und das obwohl es in SecondLife
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28 erstaunlich viele Hoersaaele gibt. Dass eben diese nicht fuer die
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29 Praesentation genutzt wurden spricht doch Baende: Es gibt keinen
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30 Grund, warum man in einer virtuellen Welt die Nachteile der realen
\r
31 Welt nachbauen sollte! Schlechte Sicht auf die Folien, ueberfuellte
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32 Seminare -- wenn nicht vorher die Server abschmieren -- usw...
\r
34 Es scheint, als ob man beim "Bau" dieser Raeume nicht bereit war ueber
\r
35 die Moeglichkeiten der Realitaet hinauszudenken: Ein Avatar ist, so
\r
36 die Wikipedia, die koerperliche Manifestation eines auf die Erde
\r
37 herabsteigenden Gottes. Lassen wir das Goettliche einmal weg -- ueber
\r
38 die Implikationen, dass wir uns mit dem Begriff Avatar selbst zu
\r
39 Goettern machen, laesst sich sicher auch viel schreiben, aber dazu
\r
40 vielleicht ein anderes Mal... -- dann geht es darum, dass wir dem
\r
41 abstrakten Selbst eine Repraesentation geben; dabei ist es wichtig,
\r
42 dass die hoehere Ebene, von der wir "herabsteigen" das Selbst ist,
\r
43 unsere "Seele" und nicht unsere koerperliche Repraesentation in der
\r
44 "realen Welt". D.h. wurde frueher das Internet in Ermangelung der
\r
45 technischen Moeglichkeiten als ein Werkzeug zur Ueberwindung der
\r
46 koerperlichen Grenzen angesehen, ja als ein Schritt in Richtung der
\r
47 Transzendenz, die ja einigen Philosophen als Ziel unsereres Strebens,
\r
48 unseres Seins, gilt und auch von Maslow an die Spitze seiner
\r
49 "Beduerfnispyramide" gesetzt wurde, so gehen wir doch mit Avataren --
\r
50 noch dazu menschlichen Avataren -- wieder den Weg in die andere
\r
51 Richtung: Wir steigen wieder herab auf eine verstofflichte Ebene.
\r
53 Doch halt! Der Avatar ist ja freigewaehlt. Wir begeben uns in eine
\r
54 (virtuelle) verstofflichte Welt und entscheiden da zum ersten Mal
\r
55 selbst, wer/was wir sind, wie wir aussehen, wie wir uns selbst sehen
\r
56 oder gesehen werden wollen -- eine Erfahrung, die uns in der realen
\r
57 Welt verwehrt bleibt, selbst wenn wir uns mit Alibihandlungen (dank
\r
58 moderner Medizin oder schlicht ueber das Prinzip "Kleider machen
\r
59 Leute") ueber das Nicht-Faehig-Sein hinwegtroesten/beluegen.
\r
61 Von daher ist die Nichtnutzung dieser Hoersaaele vielleicht nur eine
\r
62 Abstimmung mit den Fuessen, mit der wir sagen wollen, dass die Technik
\r
63 noch nicht so weit ist, dass unser "reales" Ich -- selbst wenn es nur
\r
64 in Form einer Videokonferenz bzw. sogar nur ueber die Sprache
\r
65 wahrnehmbar ist -- naeher an unserem Selbst dran ist, als der Avatar?
\r
66 Wenn ja, woran liegt das und kann man das aendern? Philip Rosedale
\r
67 sagte vor einiger Zeit folgendes:
\r
69 > However, there's a second thing about the 3D web that makes it
\r
70 > different than the 2D web, and is really important, which is that
\r
71 > there are other people there with you when you're experiencing it.
\r
73 Ich finde er nennt hier zwei gute Punkte, die es zu untersuchen lohnt,
\r
74 doch er setzt sie falsch in Verbindung: Es macht einen sehr grossen
\r
75 Unterschied, ob man Dinge gemeinsam erlebt, oder nicht -- auch im Web.
\r
76 Es geht hier um das viel beschworene "social web", das zwar heute oft
\r
77 in Verbindung mit Web2.0, Facebook und Co genannt wird, aber in
\r
78 Wirklichkeit schon vorher existierte. Das Web war schon immer "social"
\r
79 nutzbar, eine Eigenschaft, die es mit seinen unzaehligen Vorgaengern,
\r
80 Nachfolgern oder Geschwistern, sprich mit der Ursuppe des Internets
\r
83 Diese Unterscheidung macht sich aber nicht daran fest, ob das Web in
\r
84 3d oder 2d daher kommt; beide lassen sich entsprechend nutzen. Was
\r
85 sich jedoch zwischen 2d und 3d extrem veraendert hat, ist die
\r
86 Moeglichkeit der Repraesentation und Interaktion. Wenn ich nur Text
\r
87 als Kommunikationsmittel/-weg zur Verfuegung habe, kann ich nur
\r
88 jemanden *hug* in den Arm nehmen. In einer virtuellen 3D-Welt ist der
\r
89 selbe Vorgang aber merklich komplexer und es muessen weitere
\r
90 Vorraussetzungen erfuellt sein: Zum einen muss mein Avatar ueberhaupt
\r
91 technisch in der Lage sein, eine entsprechende Handlung umsetzen zu
\r
92 koennen. Zwar ist dieser Punkt heutzutage erreicht, problematisch wird
\r
93 es aber, wenn es darum geht nicht nur eine oder eine bestimmte Anzahl
\r
94 vorgefertigter Optionen zu visualisieren, sondern die selben
\r
95 Freiheiten zu bieten, die auch reiner Text bietet -- im Zweifelsfall
\r
96 laesst sich meist deutlich mehr durch Sprache beschreiben als eine
\r
97 bestimmte Zahl an vorgefertigten 3D-Bewegungen. Zum anderen gilt es
\r
98 auch diese Bewegungen ueberhaupt erst ausloesen zu koennen. Derzeit
\r
99 behilft man sich hier mit Texteingaben oder der Auswahl ueber
\r
100 anklickbare Listen. Weder ist das besonders intuitiv, noch laesst es
\r
101 sich so einfach in die uebrige Steuerung integrieren. Beide dieser
\r
102 Punkte koennte man technisch loesen -- man denke hier nur an die
\r
103 Moeglichkeiten von Microsofts Kinect, das u.a. dafuer genutzt werden
\r
104 kann, Koeperbewegungen zu erkennen und auf einen Avatar zu
\r
107 So, damit haetten wir die Avatar-Avatar-Interaktion schonmal
\r
108 abgefruehstueckt, bleibt noch die Interaktion mit der Welt. Hier kommt
\r
109 noch erschwerend hinzu, dass ein Mensch es zwar meist dekodieren kann,
\r
110 was gemeint ist, wenn ein Avatar den anderen umarmt, fuer Gegensatende
\r
111 in dieser 3D-Welt wird das aber problematisch. Deren Erschaffer muss
\r
112 quasi von Anfang an festlegen, auf welche Aktionen von Avataren sie
\r
113 wie reagieren -- ziemlich schwierig, wenn man eben nicht wie bisher
\r
114 eine feste Anzahl von Optionen hat. Es mag daher nicht verwundern,
\r
115 wenn die Lernmoeglichkeiten, die ich bisher in SecondLife erlebt habe,
\r
116 alle doch sehr rezeptiv waren: Man schlaegt das 3D-Internet auf
\r
117 Koordinate x|y|z auf und guggt sich eben an, wie das so aussieht.
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118 Naehere Informationen gibt es meist per ellenlangen Textnachrichten
\r
119 oder Videoclip. Selbst die Interaktionen sind meist nicht sehr aktiv.
\r
120 Ich loese zwar ein Event aus, aber das laeuft dann nahezu automatisch
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121 ab. Es ist das selbe Muster wie schon erwaehnt. Ich kann zwar die
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122 Seiten im Buch umblaettern und bekommen dann weitere Informationen
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123 ueber eine Taetigkeit (bzw. die Information, dass man an diesem Ort
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124 normalerweise Taetigkeit X macht), das ganze in 3D, animiert und
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125 personalisiert, aber wirklich aktiv bin ich dabei nicht.
\r
127 Um wenigstens das Gefuehl von echter Interaktion aufkommen zu lassen,
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128 muesste man tiefere Ereignis-Folge-Ketten bilden, d.h. ich muss
\r
129 spueren, dass mein Handeln wirklich Konsequenzen hat: Licht ein, Licht
\r
130 aus per Schalter haut niemand um, aber wenn sich Leute beschweren,
\r
131 dass ich das Licht auch am Tag brennen lasse, dann ist das was
\r
132 anderes. Hier ist dann wieder ein Problem: So etwas laesst sich
\r
133 entweder ueber NPCs -- Nicht-Spieler-Charaktere, also
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134 computergesteuerte Avatare -- erreichen oder ueber "echte" Menschen.
\r
135 NPCs sind in SecondLife kaum vertreten und erfuellen dann nur sehr
\r
136 spezifische Aufgaben (Begruessung, Verkauf, Werbung..). Vielleicht ist
\r
137 es in SL einfach technisch zu schwer auf die unterschiedlichsten
\r
138 "Welt-Spieler-Ereignisse" zu reagieren und/oder den NPCs eine
\r
139 entsprechende kuenstliche Intelligenz einzuhauchen, vielleicht steckt
\r
140 aber auch die Idee dahinter, dass man die Interaktion zwischen echten
\r
141 Menschen foerden will, man ist ja kein "Spiel"... schade nur, dass an
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142 den wenigsten Orten entsprechend viele Menschen unterwegs sind bzw.
\r
143 gar technisch unterwegs sein koennen (Abstuerze); falls doch, sind
\r
144 diese meist nicht Teil des Settings, reagieren also nicht wirklich auf
\r
145 entsprechende Ereignisse. Die Konsequenz: SL wirkt tot. Es ist wie ein
\r
146 Buch -- von mir aus 2.0 oder gar 3.0 -- zum Anschauen, nicht zum
\r
149 Die bisher einzige Situation wo ich ansatzweise selbst gelernt am
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150 eigenen -- realen! -- Koeper gelernt habe, war ein Ort ueber
\r
151 Schizophrenie. Zwar waren auch hier die Interaktionsmoeglichkeiten
\r
152 nicht sonderlich gut, aber es wurde eine Stimmung erzeugt, die einen
\r
153 gut in die Situation eintauchen liess. Die dafuer verwendeten
\r
154 Werkzeuge waren aber eher klassischer, rezeptiver Natur: Es wurde
\r
155 versucht eine Art "Geschichte" zu erzaehlen. Zur Verbesserung koennte
\r
156 man sich hier Anregungen aus Buch, Film und storybasierten Spielen
\r
157 nehmen (wobei man dann wohl mehr NPCs braeuchte, s.o.). Oder man
\r
158 koennte mehr Personalisieren indem man sich z.B. die persoenlichen
\r
159 Daten aus Facebook schnappt und die echten Freunde, echte Eintraege
\r
160 der Pinnwand/des Streams einbindet; aehnlich wie
\r
161 http://www.takethislollipop.com/ oder andere personalisierten Videos.
\r
163 Da ich hier nun schon ewig schreibe, will ich mal zum Schluss kommen
\r
164 und etwas Struktur reinbringen. Mir scheint es vier moegliche Settings
\r
165 bzw. Metaphern und diverse Mischformen in SL zu geben, wobei (1) bei
\r
166 weitem das haeufigste zu sein scheint:
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168 1. Out-Of-Character. SL ist ein multimediales, virtuelles Buch mit
\r
169 vielen Themen (Orten). Diese sind tote Materie. Interaktion mit der
\r
170 Welt rein zur Darstellung von "Typischem". Kommunikation mit anderen
\r
171 "Lesern" ueber den Ort. 2. Out-Of-Character. Der Ort richtet sich
\r
172 direkt an das reale Ich und versucht es auch einzubeziehen. 3.
\r
173 In-Setting. Man ist als PH-Student/Tourist -- repraesentiert durch den
\r
174 Avatar -- auf einer Exkursion. Der besuchte Ort lebt, wird aktiv
\r
175 genutzt. Interaktion mit Welt hat eine echte Bedeutung. Kommunikation
\r
176 laeuft zwischen den Touristen untereinander und den Bewohnern ab. 4.
\r
177 In-Setting. Jeder Ort hat ein Thema/eine Geschichte. Man ist nicht
\r
178 sein reales Ich, sondern der Avatar.
\r
180 In allen Faellen krankt es der technischen Umsetzung von Interaktion
\r
181 und Kommunikation. Hier bleibt zu hoffen, dass man die Bedienung
\r
182 vereinfacht und statt auf vorgefertigte Muster, diese bald direkt vom
\r
183 realen Ich uebernehmen kann, wie es z.B. mit Microsofts Kinect
\r
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