1 From: Boris Kraut <krt@nurfuerspam.de>
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3 Date: Thu, 02 Feb 2012 02:36:50 +0100
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5 Message-ID: <20120202013650.SJP6uU@silberbruch>
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8 To: undisclosed-recipients: ;
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9 Subject: Stellungsnahme zu den 6 Thesen von Kindermedienland-BW.de
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11 Die Initiative Kindermedienland BW [1] hatte bis Ende Januar
\r
12 dazu eingeladen, sich mit 6 Thesen zur Medienbildung und
\r
13 -erziehung sowie zur Fortfuehrung des Projekts zu beschaeftigen
\r
14 und Stellungsnahmen abzugeben. Die Thesen lauten in Kurzform:
\r
16 > These 1: "Medienpaedagogische Fachkraefte" und "Alltagscoaches"
\r
17 > sollen sich bei der Vermittlung von Medienkompetenz ergaenzen
\r
19 > These 2: Medienbildung und -erziehung muessen bereits im
\r
20 > Kindergarten oder Grundschule ansetzen
\r
22 > These 3: Die zielgerichtete Vermittlung von Medienkompetenz
\r
23 > erfordert verbindliche Bildungsstandards an Kindergaerten,
\r
24 > Schulen und Hochschulen
\r
26 > These 4: Schulen als zentrale Bildungsorte sollten den Zugang
\r
27 > zu neuen Medien eroeffnen
\r
29 > These 5: Ausserschulische Jugendarbeit soll Kindern und
\r
30 > Jugendlichen ergaenzende Zugangsmoeglichkeiten beim Erwerb
\r
31 > von Medienkompetenz bieten
\r
33 > These 6: Kindermedienland-bw.de soll als zentraler Anlaufpunkt
\r
34 > fuer die Akteure und Einrichtungen in der Medienbildung etabliert
\r
37 Auf der Website gibt es auch noch die jeweiligen Langformen, die
\r
38 immer mit einer Frage enden.
\r
40 Vor zwei Wochen haben wir mal angefangen in einem Etherpad ein wenig
\r
41 ueber das zu gehirnstuermen; da die Deadline naeherkam, habe ich mich
\r
42 dann in einer Nacht- und Nebel-Aktion hingesetzt und in die Tasten
\r
43 gehauen, hier der Auszug aus dem Pad:
\r
51 Das grosse Ziel den Heranwachsenden zu einer muendigen Teilnnahme in
\r
52 der Gesellschaft zu befaehigen, wird nicht nur von Paedagogen -- oder
\r
53 gar Schule -- verfolgt; diesen den alleinigen Bildungsauftrag zu
\r
54 unterstellen, waere anmassend. Vielmehr lebt unsere pluralistische
\r
55 Gesellschaft davon, dass eine Vielzahl von Akteuren am Bildungs-
\r
56 prozess eines jungen Menschen aktiv teilhat. Auch das Aufkommen von
\r
57 "neuen" Medien aendert an dieser Diversitaet nichts.
\r
59 Selbst die mit den digitalen Medien aufkommenden Probleme sind nicht
\r
60 grundsaetzlich neu, sie sind viel mehr altbekannte soziale Fragen,
\r
61 die von den bisherigen Akteuren (mal mehr, mal weniger) gut ver-
\r
62 standen werden, jetzt aber in noch nie gekanntem Ausmass und Trag-
\r
63 weite auftreten. Allerdings scheuen sich viele ihre bisherigen
\r
64 Erfahrungen, ihr "Wissen", ihren Rat auch bei Problemen mit den
\r
65 digitalen Medien einzubringen; ihnen fehlt das technische Ver-
\r
66 staendnis, die Praxis am Geraet, der Mut Neuland zu betreten --
\r
67 so koennen sie erst gar nicht zu den o.g. "altebekannten" Fragen
\r
70 Auf der Seite der Heranwachsenden ist das reine Anwenden der Technik
\r
71 meist kein Problem -- ein tieferes Verstaendnis fehlt jedoch selbst
\r
72 bei den "digital natives" --, sie erforschen mit Neugier und
\r
73 Interesse die vorhandenen Moeglichkeiten, stolpern aber virtuell wie
\r
74 real ueber die gesellschaftlichen Implikationen und Risiken, die es
\r
75 auch z.B. im Internet gibt.
\r
77 Beide Gruppen benoetigen derzeit Hilfe, insbesondere Hilfe zur
\r
78 Selbsthilfe. Ziel muss es sein, dass die ueblichen Akteure in der
\r
79 Bildung so weit gebracht werden, dass sie ohne fremde Hilfe sich
\r
80 die notwenigen Informationen beschaffen koennen. Doch wer soll das
\r
81 leisten? Jeder, der dazu befaehigt ist! Wobei eine Befaehigung nicht
\r
82 aufgrund einer staatlichen Ausbildung oder eines Zertifikats zu
\r
83 erreichen ist. Engagierte Eltern, Vereine, Techniker, Lehrer,
\r
84 Medienpaedagoen uvm. -- sie alle sind gefragt!
\r
86 Leider wird unter dem Deckmandel der Medienkompetenz auch vieles
\r
87 angeboten, das nicht der Muendigkeit, sondern nur dem -- insbesondere
\r
88 wirtschaftlichem -- Interesse des Veranstalters dient: Als selbstlose
\r
89 Aufklaerungsarbeit getarnte Marketingtouren seitens der grossen IT-
\r
90 Unternehmen genauso wie auch spezielle "Trainer" und Mediencoaches.
\r
91 Selbst unter den Medienpaedagogen gibt es noch einige, die auf dem
\r
92 Stand ihres Abschlusses stehen geblieben sind und bisherige neue
\r
93 Entwicklungen schlicht ignorieren.
\r
95 Kurz: Die Begleitung des Bildungsprozesses mit dem Ziel der
\r
96 muendigen Teilhabe an der Gesellschaft ist auch im digitalen
\r
97 Zeitalter eine Querschnittsaufgabe, die -- in den Grundzuegen
\r
98 -- auch von engagierten Buergerinnen und Buergern ohne spezielle
\r
99 Qualifikation wahrgenommen werden kann und soll! Dabei sollten
\r
100 nicht nur die Kinder, sondern auch die derzeit haeufig ueber-
\r
101 forderten Eltern und Lehrer nicht vergessen werden. Mit
\r
102 zusaetzlichem technischen Wissen ausgestattet, werden sie
\r
103 schnell in die Lage versetzt, die "neuen, digitalen Probleme"
\r
104 auf bekannte soziale Muster -- mit denen sie prinzipiell
\r
105 Erfahrungen haben -- zurueckzufuehren und entsprechende
\r
106 Hilfen anzubieten.
\r
111 Eine medienpaedagogische Grundbildung sollte auch bei den
\r
112 Erzieherinnen und Erziehern vorhanden sein, sodass diese bei
\r
113 Bedarf auf entsprechende Impulse des Kindes oder der Eltern
\r
114 eingehen koennen. Anstatt aber gerade den "neuen" Medien
\r
115 einen prominenten Platz in der fruehkindlichen Erziehung
\r
116 einzuraeumen, sollte man verstaerkt daran arbeiten, dass
\r
117 die "kindliche Neugier am Entdecken" nicht durch die Schule
\r
118 -- insbesondere die weiterfuehrenden Schulen -- bedingt
\r
121 Kurz: Falls entsprechende Impulse vorhanden sind, muss auch
\r
122 im Kindergarten o.ae. fach- und kindgerecht darauf reagiert
\r
123 werden; ein Leugnen der multimedialen Lebensrealitaet (der
\r
124 Erwachsenen?) ist wohl eher problematisch. Eine aktive von
\r
125 aussen angeregte Medienerziehung sollte erst in den Grund-
\r
126 schulen ansetzen. Davon abgesehen gilt es, die kindliche
\r
127 Neugier auch in den (weiterfuehrenden) Schulen zu erhalten.
\r
132 Das Ziel der "digtalen Muendigkeit" muss verpflichtend fest-
\r
133 geschrieben werden; entsprechendes Wissen, Fertigkeiten und
\r
134 Faehigkeiten sind in der jetzigen -- und erst recht in der
\r
135 zukuenftigen Welt -- nicht mehr optional. Bei der Aus-
\r
136 formulierung muss darauf geachtet werden, dass klar wird,
\r
137 dass solche Inhalte nicht nur Lueckenfueller sind, die bei
\r
138 Bedarf eingeflochten werden, sondern sie als zentrales
\r
139 Element des Bildungsprozesses erkannt werden, dem auch
\r
140 entsprechend geschultes Lehrpersonal sowie zeitliche
\r
141 Ressourcen zuzuordnen sind. Auf der anderen Seite ist es
\r
142 fuer eine nachhaltige Medienbildung noetig, dass diese
\r
143 Standards nicht starre Vorgaben machen oder auf bestimmte
\r
144 Produkte festgeschrieben werden -- das waere gerade in der
\r
145 kurzlebigen Medienwelt nicht tragbar -- sondern grundlegende
\r
146 Konzepte und Ideen beinhalten.
\r
151 Schulisch beschaffte Hardware aendert nichts an der
\r
152 prinzipiellen sozialen Ungleichheit, sie kann lediglich die
\r
153 fuer den Unterricht erforderliche Basisausstattung bieten.
\r
154 Dies schadet sicherlich nicht, ist aber fuer das Ziel der
\r
155 "digitalen Muendigkeit" zu wenig, denn hier geht es um eine
\r
156 alltaegliche, nicht nur auf einzelne Unterrichtsstunden
\r
157 beschraenkte, Nutzung der Hardware. Schulen geben bisher
\r
158 eigene Hardware nicht, nur sehr resktriktiv oder erst im
\r
159 veralteten Zustand an Schueler heraus -- damit ist eine
\r
160 Nutzung im obigen Sinne nicht moeglich. Die Tendenz geht
\r
161 zum persoenlichen Geraet als alltaeglichem Begleiter.
\r
163 Trotzdem sollten sich Schulen nicht blind auf entsprechende
\r
164 Foerderprogramme von IT-Unternehmen einlassen. Gerade im
\r
165 Markt für mobile Geraete versuchen viele Hersteller mit
\r
166 kostenlosen oder verguenstigten Geraeten Jugendliche --
\r
167 oder gar die Schule selbst! -- als Zielgruppe zu
\r
168 erschliessen, um dann ueber die Geschaeftsbedingungen
\r
169 (Stichwort "AppStore" und "Vendor-Lock-In") viel Geld
\r
170 zuverdienen. Eine solche Abhaengigkeit sollte nicht
\r
171 durch Schulen beguenstigt werden.
\r
173 Alternative Konzepten koennten -- neben staatlichen
\r
174 Foerderprogrammen oder einer angepassten Sozialgesetzgebung
\r
175 -- sich am OLPC-Projekt anlehen. Auch Kleinstcomputer (vgl.
\r
176 http://www.raspberrypi.org/) sind eine Option. Sie sind
\r
177 inzwischen sehr leistungsfaehig und bieten die Gelegenheit
\r
178 Themen wie "Energieeffizienz" oder "Preis/Leistungs-
\r
179 Verhaeltnis" zu vermitteln. Bei Projekten zum Aufruesten
\r
180 und Wiederverwerten von aelteren PCs koennte ebenfalls eine
\r
181 begruendete Konsum-Kritik und weiteres thematisiert werden.
\r
186 Lernen findet nicht nur im institutionellen, schulischen
\r
187 Rahmen statt, was sich gerade in der Medienbildung zeigt:
\r
188 Dem momentane Defizit, das hier viele Schulen zeigen, stellt
\r
189 sich eine Vielzahl von ausserschulischen Initiativen entgegen.
\r
190 Bis Schule den eigenen Auftrag auf dem Gebiet der Medien-
\r
191 bildung ausfuellen kann, wird noch viel Zeit vergehen, sodass
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192 man auch in Zukunft darauf angewiesen ist. Doch auch darueber
\r
193 hinaus lohnt es sich eine staerkere Vernetzung, eine staerkere
\r
194 Oeffnung der Schule nach aussen voranzutreiben, denn Schule
\r
195 kann auch hier nur eine grundlegende Basisarbeit leisten.
\r
200 Es ist wichtig, die bestehenden Akteure und Initiativen besser
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201 zu vernetzen. Ob das aber unter dem Dach des "Kindermedienland"
\r
202 geschehen sollte (oder kann) ist fraglich. Die grundlegende
\r
203 Frage scheint zu sein: Ist man selbst zentraler Austauschort
\r
204 -- dann muss auch die entsprechende Infrastruktur vorhanden
\r
205 sein; ein zeitlich befristeter "digitaler Briefkasten" ist
\r
206 nichts, was wirklich zum Austausch einlaedt -- oder nur ein
\r
207 statischer, toter Wegweiser auf die einzelnen Initiativen, die
\r
208 weiterhin sich nicht gegenseitig austauschen.
\r
214 Ich bin gespannt, ob und wie es mit der Initiative weitergeht und
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215 wieviel von meinen Ideen sich dann dort wiederfinden. Bisher habe
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216 ich aber da wenig Hoffnung.. ist nur so ein Gefuehl. Daran wird
\r
217 sich dann auch messen muessen, ob so etwas generell die Zeit wert
\r
218 ist, oder ob es nicht einen besseren Einsatz -- z.B. eben doch
\r
219 direkt mit Kindern oder in der Lehrerbildung, auch wenn das derzeit
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220 nur Tropfen auf dem heissen Stein sind -- der zeitlichen und per-
\r
221 sonellen Ressourcen gibt.
\r
223 [1] http://www.kindermedienland-bw.de/
\r
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