1 From: Boris Kraut <krt@nurfuerspam.de>
\r
2 Date: Wed, 10 Oct 2012 21:36:52 +0200
\r
4 Message-ID: <20121010213652.tMBgqS@silberbruch>
\r
8 To: undisclosed-recipients: ;
\r
9 Subject: [.plan] Virtuelles Bezahlen
\r
11 Nein, das ist kein Erfahrungsbericht ueber Bitcoin oder aehnliche
\r
12 Projekte. Viel mehr ist es eine Erinnerung, wie wenig wir mit Geld
\r
13 bezahlen. Geld an sich ist ja eine sehr virtuelle Sache, es ist
\r
14 ein vereinheitlichter (Pseudo)-Standard zur Verwaltung von Schulden,
\r
15 aber das ist ein Thema fuer einen anderen Beitrag. Stellen wir uns
\r
16 doch einfach mal die Frage, wann wir heute wirklich noch mit "Geld"
\r
19 Groessere Betraege ueberweist man oder kauft sich ueber die Kredit-
\r
20 karte. Selbst bei Einkaeufen fuer wenige Euro wird immer haeufiger
\r
21 die EC-Karte gezueckt und in vielen Universitaeten und Unternehmen
\r
22 zahlt man heute Kontaktlos per RFID-Token -- praktisch wenn das doch
\r
23 schon im Studiausweis drin ist. Der letzte Schrei ist gerade NFC,
\r
24 das Bezahlen mit dem Handy oder einer speziellen Geldkarte.
\r
26 Aber selbst abseits davon sind wir doch laengst in einer Welt, in
\r
27 der wir mit Bonuspunkten, Gutscheinen oder Rabbatcoupons. Wir kaufen
\r
28 uns "Aufladenummern" fuer Prepaid-Handies oder Online-Stores. Wie
\r
29 praktisch waere es denn, wenn wir direkt mit Facebookcredits, Linden-
\r
30 Dollar und anderen "Ingame"-Werbungen zahlen koennten? Und der Geld-
\r
31 anbieter verdient immer mit, an jeder Transaktion. Wir kaufen fuer
\r
32 "echtes" Geld, Pseudo-Geld von einem Anbieter, das man nicht immer
\r
33 wieder zurueck "tauschen" kann: Tut uns Leid, sie haben ihre Tuete
\r
34 mit Apfel-Gold-Talern schon aufgebrochen, die koennen wir nicht
\r
35 anteilig zuruecknehmen... Und selbst wenn es irgendwie geht, wenn
\r
36 nur ein paar Nutzer es vergessen, ist schon Gewinn gemacht. Wir
\r
37 binden uns immer enger an Unternehmen, unser Geldheisst Treue,
\r
38 unser Geld heisst Daten, unser Geld heisst "Ich lass mich gerne
\r
39 Ueberwachen und habe nichts dagegen, mich einem Unternehmen zu
\r
40 unterwerfen, weil die das sicher viel besser machen als das Unter-
\r
43 Das ganze fuehrt meiner Meinung nach zu zwei interessanten Ueber-
\r
46 (1) Was ist der "echte", angemessene Preis? Lassen wir doch mal
\r
47 die euphemistischen Begriffe wie Gutschrein oder Rabbat weg
\r
48 und schauen die Preise an. Was waere, wenn der ausgezeichnete
\r
49 Preis nicht der reale ist? Dann zahlen alle drauf und nur
\r
50 die Rabatt-Nutzer zahlen den "normalen" Preis, der wohl trotzdem
\r
51 noch ziemlich ueberteuert ist. Sie bekommen nichts guenstiger,
\r
52 sie sind nur Premiumkunden, weil sie sich tracken lassen und an
\r
53 ein Untenrhemen binden. Und was passiert, wenn man hier weiter
\r
54 ausdifferenziert? Wenn es nicht nur eine Sorte Premiummitglieder
\r
55 gibt, sondern auch Premium-Plus-Nutzer? Oder gar komplett
\r
56 personalisierte Preise? Ist das wirklich das, was wir wollen?
\r
58 (2) Wenn der Wechsel vom staatlichen Monopol zu zersplitterten Einzel-
\r
59 loesungen so einfach ist, dass er sogar als natuerlicher Lauf an-
\r
60 gesehen wird, ist immer Vorsicht geboten, denn unsere durch die
\r
61 Verfassung garantierten Rechte sind zu einem Grossteil Abwehrrechte
\r
62 gegen den Staat, der -- zumindest in der Theorie -- seine Macht
\r
63 nur durch uns -- seine Buerger erhaelt. Der Staat ist uns, also
\r
64 allen Buergern, gegenueber rechenschaftspflichtig, Unternehmen sind
\r
65 -- auch wenn sie von allen Buergern genutzt werden -- nur gegenuber
\r
66 einem kleinen Teil der Menschen rechenschaftspflichtig: Ihren Geld-
\r
67 gebern -- sei es nun ein Familienunternehmen ohne externe Abhaenig-
\r
68 keiten oder der Grosskonzern gegenueber seinen Aktionaeren.
\r
70 Wenn also der Wechsel zu etwas "neuem" so leicht ist, dann tun wir
\r
71 gut daran, die Macht nicht nur vom Staat wegzunehmen, sondern sie
\r
72 zur Allgemeinheit hinzugeben -- und eben nicht zu Unternehmen.
\r
projects / krt-msg / blob