Einsamkeit vs. technische Ueberlegenheit
[krt-msg] / 2015-06-10T20:18:14Z.msg
1 From: Boris Kraut <krt@nurfuerspam.de>
2 To: undisclosed-recipients: ;
3 Date: Wed, 10 Jun 2015 22:18:14 +0200
4 Message-ID: <20150610221814.SWBp9I@edupad.local>
5 Reply-To: Boris Kraut <krt@nurfuerspam.de>
6 Subject: [.plan] WhatsApp-Selbstversuch
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8 Vorgestern war es dann wieder so weit, eine der unsaeglichen Warum-Hast-Du-
9 Kein-WhatsApp-Diskussionen, in der die andere Seite einfach komplett alle
10 meine Argumente ignoriert und stattdessen nicht muede wird zu wiederholen,
11 dass das "alle" haben. Seufz. Im konkreten Fall gipfelte es darin, dass man
12 mich und meine Handy versuchte zwangszubegluecken. Ziemlich uncool, da ich
13 nicht nur fuer mich das nicht will, sondern ich auch einige Kontakte haben,
14 die ebenfalls nicht zwangs-vercloudet werden wollen. Aber ich versprache es
15 mir nochmal anzuschauen. Meine erste Idee war, eine zweite SIM-Karte und mein
16 altes Handy als Gateway zu nutzen: Das haette allerdings viel Gefrickel be-
17 deutet. Im Endeffekt habe ich alle Kontakte, die sowieso WhatsApp nutzen,
18 in eine Emulator-VM geschoben, dort WhatsApp (direkt vom Hersteller, nicht
19 aus dem PlayStore) installiert, die Lizenzanzeige blockiert (so dass ich
20 guten Wissens sagen, ich habe AGBs zu gestimmt, deren ganzer Inhalt " " war,
21 meine Handynummer eingegeben und die auf das Handy zugestellte Verifikations-
22 SMS an den Emulator durchgereicht:
23
24 $> telnet localhost 5554
25 $> sms send $absender $text
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27 Inzwischen duerfte es reichen, wenn man einfach den Aktivierungs-Link auf
28 dem Handy oeffnet -- danach sollte das Handy und die SIM (bis zu einer Re-
29 /Neu-Aktivierung) nicht mehr gebraucht werden. Und genau das ist das, warum
30 ich das ganze halbwegs positiv sehen kann:
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32 Ich nutze zwar ein proprietaeres, gesellschaftsschaedliches Kommunikations-
33 ding, aber im gleichen Atemzug kann ich die ganze proprietaere Hard-/Soft-
34 ware, die in jedem Handy steckt, jetzt beiseite legen (und damit werde ich
35 auch ein kleines bisschen weniger trackbar!). Denn die Kontakte, fuer die
36 ich das Handy betrieben habe, die haben auch alle WhatsApp; im Gegenzug
37 haben die Kontakte, die ich hier so heroisch vor der Datenkrake Facebook
38 bewahrt habe, sowieso nicht SMS genutzt. Telefonie kann ich ueber SIP
39 abwickeln -- und lesend funktionieren SMS und eingehende Anrufe ja noch.
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41 Kurzer Zwischenruf: Jeder, der irgendeiner App Zugriff auf die Kontakte ge-
42 geben hat, ohne spezielle Sicherheitsvorkehrung zu treffen -- also z.B.
43 WhatsApp installiert hat und mich in den Kontakten hat -- ist fuer mich
44 uebrigens Freiwild. Heisst konkret: Ich habe keine Skrupel mehr, diese
45 Kontakte mit einem mir genehmen Cloud-Dienst zu synchronisieren, auch mit
46 solchen, die einen freien, ungehinderten Zugriff auf diese Daten erlauben.
47 Ein oeffentliches Addressbuch haette ja soviele Vorteile und wuerde hier
48 Monopole bestimmter Apps zersteoren. Entwertung durch allgemeine Ver-
49 fuegbarkeit!
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51 Und wie ist jetzt WhatsApp so? Nun, ich kann die Begeisterung nicht ver-
52 stehen. Das war es, was ihr wolltet? Einen simplen XMPP-Client mit 
53 vorgeschriebenen Server, den ihr mit 1Euro/Jahr unterstuetzt und der
54 dafuer nicht mit dritten Servern redet? Seufz, wie konntent wir so
55 einen Sieg so einfach aus der Hand geben? Wir hatten _alles_ was es
56 gebraucht hat, um die Massen zu begeistern, was gefehlt hat, war der
57 Wille es als Geschaeft aufzuziehen. Anstatt nur den perfekten Cleint
58 zu entwicklen, einfach eine gebrandete Version mit weniger Features
59 und einem dazugehoerigen XMPP-Server von der Stange. Telefonnmmer als
60 Id waere ja auch nicht das Problem gewesen, solang alle "Normalos"
61 eben genau diesen Client/Server nutzen -- die paar Nerds, die einen
62 anderen Server nutzen, haetten ja nicht weh getan. Dafuer dann irgendwann
63 eine 1-Euro-Nutzungsgebuehr und fertig. Gerade wenn ich mir im Vergleich
64 Conversations anschaue, kann mir niemand mehr sagen, dass WhatsApp da
65 besser waere. Sehen nahezu gleich aus, Conversation sogar etwas besser
66 und funktionaler, WhatsApp dafuer mit mehr runden Ecken... seufz.
67
68 Aber trotz dieser Enttaeuschung, dass die Massen wieder auf das falsche
69 Pferd gesetzt haben, bleibt natuerlich bei nuechterner Betrachtung ein
70 ganz passabler XMPP-Client zurueck, den man evtl. seinen weniger technik-
71 affinen Bekannten auch ans Herz gelegt haette (wenn er offener und von
72 Anfang an sicherer gewesen waere). Es ist also verstaendlich, dass die
73 Leute sowas nutzen, insbesondere da man bei der Vereinfachung auf einen
74 Client und einen Server viele Probleme einfach nicht hat: Dateien,
75 Bilder und JINGLEs (Audio) sind auch bei XMPP kein Problem, wenn man
76 eben genau den Client vorschreibt, der das unterstuetzt (und es auch
77 keine abweichenden Implementierungen gibt). Und um auch mal etwas sehr
78 positives zu sagen, dann hat mich die Option gefreut, dass Dritte fuer
79 einen das Abo verlaengern koennen und dass das Payment nicht zwangs-
80 weise ueber Google ablaufen muss. Posteo treibt das ja auf die Spitze:
81 Geld (auch Bargeld!) und Accountname, mehr brauch es nicht um Guthaben
82 aufzubuchen. Kein Grund dafuer, dass die Person selbst angemeldet sein
83 oder einen speziellen Dienst zum Bezahlen verwenden muss.
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85 Und jetzt? Es gibt eigentlich keinen Grund WhatsApp zu nutzen.. wenn
86 da nicht die Menschen waeren. Relevante Kontakte ist das einzige
87 Kapital, das WhatsApp hat. Es ist schon erstaunlich, wie sich Leute
88 wieder melden, nur weil man fuer sie erreichbar ist -- ich verstehe
89 immer noch nicht, warum das per Mail nicht gehen sollte. Und ich muss
90 zugeben, dass es mir gefallen hat. Nein, die Gespraeche waren nicht
91 wirklich tiefgruendig, aber es war ein wenig wie frueher im IRC: Damals
92 war es ein belebter, sozialer Raum, heute ist meine IRC-Nutzung "Arbeit"
93 -- zwar freiwillige Arbeit, aber trotzdem auf einer professionellen
94 Ebene. Klar, im IRC geht's locker zu, aber zu den wenigsten Leuten habe
95 ich einen engeren sozialen Kotakt. Das ist bei Leuten, die man aus der
96 realen Welt so kennt, natuerlich (mal mehr mal weniger) gegeben, und
97 bei solchen Kontakten belohnt einen das Gehirn auch fuer oberflaechliche
98 Gespraeche.
99
100 Ein paar Gedanken zu meinem Kommunikationsverhalten:
101
102 * GSM-Telefonie und SMS sind fuer mich defacto zum read-only Medium
103   geworden. Antworten kommen ab jetzt per Mail, ggf. per Festnetz oder
104   SIP.
105
106 * Eine zukuenftige Kommunikationsart muss die Option auf mobile Nutzung
107   offen halten, sie jedoch nicht erzwingen. Zu sehr habe ich mich an
108   Tastatureingaben gewoehnt, selbst wenn es nur ein Emulator ist. 
109
110 * Sie muss frei sein und muss ohne Tracking funktionieren. Damit sind nur
111   noch ausgewaehlte Tablets und Notebooks im mobilen Bereich denkbar.
112
113 * Kosten duerfen dabei nur fuer die Infrastruktur (Internetzugang) anfallen,
114   nicht fuer die Nutzung.
115
116 * WhatsApp kommt technisch in einen annehmbaren Bereich, ist aber ein
117   gesellschaftlicher Totalschaden: Untragbar! Es sollte geaechtet werden.
118   Ich werde den Versuch noch eine Weile fortsetzen (auch um zu sehen, wie
119   viele Leute sich auf einmal wieder melden -- aktueller Stand 5), aber
120   niemand sollte sich daran gewoehnen. Das Ziel: Moeglichst schnell auf
121   read-only, moeglichst schnell komplett wieder loswerden...
122
123 * ...wobei eine Kommunikationsart nur dann Sinn hat, wenn auch wirklich
124   kommuniziert wird, also sie von Leuten genutzt wird.
125
126 Und wie immer ist genau der letzte Punkt der entscheidende. Die Frage ist,
127 ob die Leute bereit sind zu wechseln (oder ob und wo ich entsprechend
128 positive Impulse auch in vorhanden Kommunikationsformen (wieder) finden
129 kann). Dabei ist eine Loesung, die meine Kontakte nur um meinetwillen
130 mittragen, nicht der richtige Weg. Die Nutzung muss alltaegliches Handeln
131 sein, sonst wird sie zur Last und kommt nach und nach zum erliegen. Keine
132 Menschen, keine Kommunikation. Auch wenn ich derzeit keine Alternative
133 sehe, macht mich das Beispiel WhatsApp froh. Denn es hat gezeigt, dass
134 ein Exodus aus Facebook (oder die Etablierung einer zweiten Kommunikations-
135 plattform) durchaus moeglich ist, auch wenn WA nun ebenfalls zu FB gehoert.
136 Doch was wird "the next big thing" sein? Schaffen wir es, es diesmal richtig
137 zu machen?