From: Boris Kraut Date: Mon, 12 Jun 2006 00:00:00 +0000 Category: Sender: Message-ID: <20060612000000.6iF4e7@silberbruch> References: Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Aufgaben eines Staats Wenn man etwas durch die Kanaele schaltet oder ein etwas heikles Thema am Stammtisch anspricht, so hoert man oft die Meinung, dass "der Staat doch da etwas machen muesste". Komischerweise sind das meistens genau die Leute, die sich wenig spaeter ueber unseren UEberwachungsstaat beschweren. Da es sich hier jedoch nicht um eine vereinzelnd auftretende Meinung, sondern eher um ein Massenphaenomen handelt, scheint es mir nur richtig zu sein, wenn ich heute etwas genauer auf die Aufgaben und Pflichten eines Staates eingehe. Da dies jedoch ein sehr kontroverses Thema ist, moechte ich gleich darauf hinweisen, dass ich kein Gesellschaftswissenschaftler bin, sondern lediglich ein an der Materie interessierter Staatsbuerger. Nun, was ist eigentlich ein Staat? Wann beginnt dieses Gebilde, welches wir Staat nennen? Meiner Meinung nach ist die einfachste Staatform das Versprechen zweier Menschen, sich gegenseitig gegen einen oder mehrere Dritte zu verteidigen. Es geht also um den einfachen Gedanken, dass zwei Schwache zusammen durchaus einem einzigen Starken ueberlegen sein koennen. Man gibt einen Teil seiner Freiheiten -in unserem Beispiel die Freiheit den Partner anzugreifen beziehungsweise ihn im Stich zu lassen, wenn dieser Hilfe benoetigt- fuer etwas Sicherheit ab. Genau dies ist meiner Meinung nach der alleinige Sinn und Zweck eines Staates: Sicherheit, und zwar nicht nur aeussere Sicherheit -also das Abwehren von Dritten-, sondern auch innere. Wenn also in einer solchen (siehe oben) Gruppe ein Mitglied A versucht gegen ein Mitglied B vorzugehen, so muessen alle anderen B zu Hilfe kommen. Mitglied A ist dadurch, dass es die UEbereinkunft -oder sollte ich besser Staatsvertrag sagen?- bricht, automatisch kein Mitglied mehr. Ob es nach dieser Auseinandersetzung wieder in die Gruppe aufgenommen wird, ist eine andere Frage. Neben innerer und aeusserer Sicherheit gehoeren aber -gerade in groesseren Gruppen- auch soziale Sicherheiten dazu. So ist es durchaus wuenschenswert, wenn ein schwaches Mitglied zur Not von den staerkeren solange versorgt wird, bis es (wieder) auf eigenen Beinen stehen kann, zumindest wenn es sich an die Regeln der Gruppe haelt und seinen eigenen -eventuell sehr bescheidenen- Beitrag fuer diese leistet. Man darf aber nicht vergessen, dass es fuer keinen Dritten ein Anrecht darauf gibt, in die Gruppe aufgenommen zu werden, auch wenn man sich selbst an die Regeln haelt. Ob ein neues Mitglied aufgenommen wird, entscheidet immer die Gruppe, niemand sonst. Im Laufe der Zeit werden meist neue Interessen in den Vordergrund ruecken, teils bedingt durch neue Mitglieder, teils durch Veraenderungen von Aussenstehenden, wie zum Beispiel die Formierung einer weiteren Gruppe. Es wird noetig werden, die urspruenglichen Richtlinien an diese neuen Situationen anzupassen. Wer dies schlussendlich entscheidet, haengt von der Staatsform ab. Eventuell haben alle Mitglieder die gleichen rechte oder aber es duerfen solche AEnderungen nur von Mitgliedern, die sich bereits um die Gruppe verdient gemacht haben, also im engsten Sinne nur die Gruendungsmitglieder, beschlossen werden. Wie dem auch sei, die weit wichtigere Frage ist doch, was mit der Gruppe passiert, wenn nicht alle Mitglieder fuer die Veraenderungen sind. Dann muss sich jedes Mitglied fragen, ob ihm die Mitgliedschaft weiterhin mehr einbringt als er verliert und im Zweifelsfalle die Gruppe verlassen. Gerade bei Gruppierungen mit territorialen Anspruechen stellt sich zudem eine weitere Frage: Wuerde jemand aus freien Stuecken die Gruppe verlassen, waere es klar, dass er geht und die Gruppe bleibt. Doch wenn sich die Gruppenrichtlinien veraendern, ist die Frage nicht ganz so leicht zu klaeren. Wem gehoeren die Gebiete? Der neuen Gruppe, die aus der alten hervorgegangen ist? Oder doch eher denen, die sich weiterhin an den urspruenglichen Werten festhalten? Ich denke, dass eigentlich eher die Reformer sich ein neues Flecken Erde suchen muessten. Man kann das ziemlich gut mit dem hier wohl eher bekannten Forken der Opensource-Szene vergleichen. Diejenigen, die nicht mehr zufrieden sind, treten aus und formieren sich unter einem anderen Namen neu. Das Problem ist dabei jedoch meist, dass ein Grossteil der alten Fuehrung, die sich gegen die aufkommenden Ansprueche der neuen Gruppe wehren muesste, die Seite gewechselt hat. Es laeuft also wie so oft darauf hinaus, dass die staerkere Gruppe sich durchsetzen wird. Diese Probleme wuerden sich nicht ergeben, wenn der Staat ein so abstraktes Gebilde waere, als welches wir ihn gerne ansehen. Fakt ist, dass ein Staat von Menschen geschaffen wird, aus Menschen besteht und ohne diese nicht existieren kann. Wenn sie als Staatsorgane handeln, dann sollten Menschen auf Sicherheit bedacht zu sein und versuchen den idealen Staat aufzubauen. Dieser ideale Staat waere, so leid es mir tut, unter anderem ein totalitaerer UEberwachungsstaat. Als Menschen sollten sie jedoch auf Freiheit besonderen Wert legen, welche schlussendlich zu Anarchie fuehrt -ja, auch das mag manchen ueberraschen, aber Anarchie ist die freieste Staatsform, da hier kein Staat existiert. Da aber in einer Anarchie jeder tun kann, was er will, also auch einen Staat gruenden darf, wird dieser Zustand nie besonders lange andauern. Es gilt also fuer einen Menschen, der zugleich als Staatsorgan handelt, diese beiden gegenlaeufigen Ziele unter einen Hut zu bringen, so gut es geht zu verbinden und einen fuer die Gesellschaft ertraeglichen Mittelweg zu finden. So viel Sicherheit wie noetig, aber so viel Freiheit wie moeglich. Ein weiteres Problem mit Menschen ist, dass sie von Grund aus egoistisch veranlagt sind. Verabschiedet euch bitte von der Vorstellung, irgendjemand wuerde etwas einfach nur so machen. Jeder Mensch, versucht bewusst oder unbewusst nur das Beste fuer sich zu machen. Als Beispiel waere hier ein Pfarrer oder gar ein religioeser Fundamentalist genannt, fuer die es einen groesseren Wert gibt, als auf das eigene Leben bedacht zu sein. Um zu verhindern, dass Menschen, die Staatsaufgaben ausfuehren, die ihnen gegebene Macht nicht fuer sich persoenlich nutzen, gibt es verschiedene Ansaetze. Besonders gelungen finde ich die Idee der vertikalen und horizontalen Gewaltenteilung. Da dies jedoch den Rahmen dieses Artikels sprengen wuerde, verweise ich auf die unten aufgefuehrten Seiten. Ich weiss, dass diese Ideen nicht ganz neu sind und ich sie nur kurz und unvollstaendig wiedergeben kann, doch scheint mir dieses Wissen in letzter Zeit etwas in Vergessenheit geraten zu sein, weshalb ich mit diesem Artikel nur einen kleinen Einstieg, ein Appetithaeppchen, bieten will. Wer Interesse hat, sollte sich genauer informieren. Im Internet, Buechereien oder auch in diversen aktuellen Publikationen findet sich sehr viel Stoff zu diesen Themen. Wichtig dabei ist, dass man sich nicht an eine Theorie klammert und diese als alleinigen Quell der Weisheit ansieht, sondern dass man verschiedene Schriften liest, sie versteht und sie dann fuer sich selbst ueberprueft und man somit zu einer eigenen Meinung kommt. Gerade bei Karl Marx [4] und Friedrich Engels [5] muss ich nochmals darauf hinweisen, dass dies sehr interessante und gute Ideen sind. Leider wurde hier am Anfang eine falsche Annahme gemacht, wodurch das ganze Konstrukt zusammenbricht: Menschen haben keinen einheitlichen Willen! Menschen sind egoistisch veranlagt und man kann sie nicht veraendern. Anmerkung vom 02. Oktober 2007: Inzwischen habe ich diese Ideen etwas weiter gesponnen, vieles nochmals ueberdacht, einiges grundsaetzlich veraendert und neue Sichtweisen der Sache kennengelernt. Obwohl sich dadurch der Grundgedanke, die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu finden, nicht geaendert hat, werde ich wohl nicht drumherum kommen, eine Neuauflage dieses Artikels zu schreiben. Insbesondere mit Hinblick auf die letzten AEusserungen unseres amtierenden Innenministers, scheint mir das ganze ein wichtiges Thema zu sein. [1] http://de.wikipedia.org/wiki/John_Locke [2] http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Hobbes [3] http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Darwin [4] http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Marx [5] http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Engels