From: Boris Kraut Date: Mon, 12 Jun 2006 00:00:01 +0000 Category: Sender: Message-ID: <20060612000001._Gc_Jt@silberbruch> References: Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Ein gesellschaftspolitischer Rundumschlag Im Gegensatz zu meinem letzten, eher theoretisch gehaltenen Artikel ueber die Aufgaben eines Staates, will ich nun auf ein paar Probleme eingehen, die sich in letzter Zeit vermehrt gezeigt haben. Obwohl ich mich dabei natuerlich auf Deutschland beziehe, werde ich versuchen alles so allgemein wie moeglich zu halten, denn ich denke, dass solche Fragen frueher oder spaeter in den meisten gesellschaftlichen Gruppierungen auftreten. Die wichtigste Frage ist wohl, wer ueberhaupt dazu gehoert. Die Vorstellung einiger Leute von einem ethnisch homogenen deutschen Volk ist veraltet und nicht mehr haltbar, da es das deutsche Volk eigentlich noch nie gegeben hat. Zudem ist es medizinisch ja durchaus sinnvoll, den Genpool staendig aufzufrischen. Buerger ist derjenige, der von -einer dazu autorisierten Person oder Institution- der Gesellschaft dazu ernannt wurde und sich an die dort geltenden Richtlinien und Werte haelt. Darueber sind sich ja die meisten einig, was vielen jedoch Kopfzerbrechen bereitet, ist die Frage, wie man vor allem den letzten Teil ueberpruefen soll. Man kann ja schlecht in die Koepfe der Anwaerter reinschauen. Die Meinungen gehen hier weit auseinander: Von einer voellig freien und nicht reglementierten Einbuergerung, ueber eine Checkliste, die fundiertes Wissen auch ueber geschichtliche Themen erfordert, bis hin zu einer standardmaessigen kriminaltechnischen Erfassung aller Anwaerter ist alles vertreten. Ich denke, es reichen hier sehr humane Bedingungen: Jeder, der der Sprache in schriftlicher und gesprochener Form maechtig und im Vollbesitz seiner geistigen Faehigkeiten ist, schriftlich und unter Eid versichert, dass er Recht und Werte achtet, sowie nach hier geltendem Recht keine Verbrechen begangen hat, sollte Staatsbuerger werden koennen. Dieser Sprachtest sollte sicherstellen, dass der Anwaerter sich verstaendigen kann -und dies auch tut, denn es ist mehr als unsozial sich in einer Gesellschaft so zu unterhalten, dass nur eine Minderheit es versteht. Der Anwaerter muss akzeptieren, dass die fremde Sprache seine neue Hauptsprache wird.- und andere versteht, nicht dass er die Sprache perfekt beherrscht. Natuerlich muessen auch hier Ausnahmen, zum Beispiel fuer sprachlich beeintraechtigte Personen oder Kinder gelten. Fuer letztere waere eine vorlaeufige Staatsbuergerschaft sinnvoll, bei der ein -oder mehrere- erwachsener Buerger sich dazu verpflichten, das Kind zu einem guten Buerger zu erziehen, damit es, sobald es volljaehrig ist und die oben genannten Richtlinien erfuellt, die volle Staatsbuergerschaft erhalten kann. Der Grund fuer diese relativ leichte Einbuergerungspraxis ist, dass sich jeder bewusst sein muss, dass er die dadurch erhaltenen Privilegien jederzeit wieder verlieren kann, wenn er seine Pflichten vernachlaessigt oder gegen die geltenden Regeln verstoesst. Ich weiss, dass das Voelkerrecht dazu anhaelt, Staatenlosigkeit zu vermeiden, aber es muss klar sein, dass jemand, der die Rechte -und die Werte- der Gemeinschaft nicht achtet, seine eigenen ebenfalls verwirkt. Ein weiterer Punkt ist die Frage, wer einen Staat leiten sollte. Idealerweise waere dies eine einzige Person, die zwar die alleinige Staatsgewalt innehat, aber wirklich nur im Sinne der Allgemeinheit handelt. Diese Person wuerde sich auch selbstaendig um einen Nachfolger kuemmern, der dann auch die gleichen Merkmale besitzt, da er ja vom alten Staatsoberhaupt -und somit im Interesse der Allgemeinheit- ausgewaehlt wurde. Da wohl kein Mensch diese utopischen Anforderungen erfuellt, muss eine Alternative gefunden werden. Ich persoenlich halte das deutsche System fuer eines der am besten durchdachten, doch auch hier hat die Realitaet in den vergangenen Jahren einige Fehler aufgedeckt. So ist das allgemeine Wahlrecht, so gut es auch von der Idee ist, ueberholungsbeduerftig. Das Problem ist, dass man hier auch den Leuten ein Mitspracherecht einraeumt, die sich eigentlich nur um sich selbst sorgen und versuchen ohne Ruecksicht auf die Allgemeinheit Profit aus dem Staat zu schlagen. Das ist aber der falsche Gedanke. Man sollte eher versuchen, das Beste fuer die Gemeinschaft zu erreichen, denn das wird einem selbst ja auch zu Gute kommen. Vielleicht nicht direkt oder in einem so hohen Ausmass wie bei einer egoistischen Haltung, aber dafuer langfristiger und fuer jeden zugaenglich. Sollte man solchen Leuten also das Wahlrecht zugestehen? Ich denke, dass unser Wahlsystem durchaus dafuer ausgelegt ist, auch solche Waehler in einem gewissen Masse zu verkraften, doch wenn solche Leute die UEberhand gewinnen, wird der Staat vor die Hunde gehen. Sie werden den Staat -und somit uns allen- das Geld solange aus der Tasche ziehen, bis nichts mehr zu holen ist und dann sang- und klanglos verschwinden. Was ist also zu tun? Man wird solche Leute nicht voellig entmachten koennen, da man unliebsame Meinung nicht einfach unterdruecken kann. Die Frage ist jedoch, ob solche Leute ueberhaupt noch zur Gemeinschaft dazu gehoeren sollten. Doch es gibt noch andere Moeglichkeiten, um deren Macht zu beschraenken. Man koennte zum Beispiel ein Punktesystem einfuehren, wer also viel fuer die Gemeinschaft tut, hat auch ein groesseres Mitspracherecht. Auch eine generelle Beschraenkung des Wahlrechts auf aktive Buerger waere denkbar. Man muss sich jedoch ernsthaft Gedanken darueber machen, wer eigentlich dem Staat schadet, wer nur das absolute Minimum seiner Pflichten wahrnimmt und wer sich wirklich aktiv fuer die Allgemeinheit einsetzt. Beispielsweise sollte man den Steuerzahlern ein groesseres Mitspracherecht einraeumen, denn wer den Staat finanziert, sollte auch entscheiden koennen, was mit dem Geld geschieht. Doch auch hier gibt es Unterschiede: Sollte jemand, der viel Geld zahlt, auch entsprechend viel Macht haben? Oder geht es eher darum, dass jeder seinen Beitrag bringt, je nach seiner persoenlichen Situation? Ich denke, dass hier noch sehr viel Diskussionsbedarf waere. Auch Soldaten und Wehrdienstleistende sollten entsprechende Mitsprachemoeglichkeiten haben, denn wer bereit ist die Werte der Gemeinschaft -zur Not auch mit seinem Leben- zu verteidigen, hat meiner Meinung nach mehr als genug bewiesen, dass er sich fuer die Allgemeinheit einsetzt. Ich schliesse hier Zivildienstleistende nicht grundsaetzlich aus, doch solange diese nur als billige Arbeitskraefte in privaten Firmen (die natuerlich alle einen gemeinnuetzige Taetigkeit verrichten) taetig sind, sehe ich nicht ein, ihnen dafuer diese Rechte einzuraeumen, bei einer staatlichen Zivildienststelle waere das jedoch anders. Ich weiss, dass diese Gedanken noch etwas unausgereift sind, aber ich denke, dass die Grundidee dahinter durchaus sinn macht. Ein weiteres Problem ist, dass unser Parlament seine eigentliche Aufgabe, naemlich seine Kontrollfunktion, nicht mehr wahrnimmt. Durch Lobbyisten und Parteirichtlinien beeinflusst ist es der Volksvertretung nicht mehr moeglich ihr Mandat korrekt auszuueben. Leider habe ich selbst noch keine praktikable Loesung hierfuer gefunden, doch moechte ich an dieser Stelle einfach mal darauf hinweisen, dass es durchaus so angedacht war, dass sich die Regierung aus den faehigsten Menschen rekrutiert, egal zu welcher politischen Richtung diese gehoeren. Weiterhin sollte das Parlament darueber entscheiden, ob die von der Regierung vorgeschlagenen Massnahmen Erfolg versprechend sind, nicht ob die Vorschlaege aus der eigenen Partei kommen. Um es noch mal klar zu sagen: Eine Regierung kann keine so genannte eigene Mehrheit haben. Sie hat entweder das Vertrauen des Bundestags, also eine Mehrheit der Stimmen der Volksvertreter, oder eben nicht. Die Frage nach eine sozialen Absicherung und Grundversorgung ist ebenfalls strittig. Das momentan praktizierte Verfahren ist mehr als inakzeptabel, da die Verteilung der Gelder mehr und mehr an Willkuer erinnert. Meiner Meinung nach sollten hier folgende Grundsaetze gelten: Jeder soll zum Leben das bekommen, was er braucht, aber nicht mehr. Es darf keine Schande sein, die Hilfe des Staates anzunehmen, aber es darf auch nicht zu verlockend sein. Wie man an der Wirklichkeit sieht, ist es unmoeglich die zustehende Geldmenge fuer jeden korrekt zu berechnen, so dass es hier sozial Ungerechtigkeiten gibt. Daher waere mein Vorschlage, jedem das gleiche zu geben und zwar nicht finanziell, sondern in Form von Sachleistungen. Der Staat richtet Wohngebiete ein, in denen es oeffentlich zugaengliche und kostenfreie Kantinen, Arztpraxen, Schulen, Spielplaetze und so weiter gibt. Die eigentlichen Wohnhaeuser sind aehnlich einer WG aufgebaut. Jeder hat sein eigenes Zimmer, der Rest wie zum Beispiel Gaenge oder sanitaere Anlagen sind Gemeinschaftseigentum. Instandhaltung und Bewirtschaftung werden falls moeglich von den Bewohnern selbst erledigt. Viele werden nun sagen, dass dies menschenunwuerdige Massenabfertigung waere und ja, das Ganze ist wirklich auf Massen ausgelegt, aber menschenunwuerdig? Was ist daran menschenunwuerdig, wenn der Staat dafuer sorgt, dass man zu Essen und zu Trinken bekommt, man ein Dach ueber dem Kopf hat und alles bekommt, was man zum Leben benoetigt? Ich habe selbst in so einem kleinen Dorf gelebt und kann nur sagen, dass es alles andere als menschenunwuerdig ist. Das grosse Problem, was ich jedoch dabei sehe, ist die Ghettobildung, die es zu verhindern gilt. Dazu ist es notwendig, dass man es nicht als abgeschlossenen Bereich am Rande der Stadt betrachtet, sondern als Stadt selbst. Leute, die einen Job und genuegend Geld fuer ein eigenes Haus haben, sollten weiterhin ein Teil der Gemeinde bleiben, indem sie die Haeuser in mitten dieser WG-Siedlung bauen. Ja, viele werden jetzt nur den Kopfschuetteln und ich sehe selber noch viele Ecken und Kanten, vor allem weil das Ganze eine komplette Umformung der momentanen Ist-Lage erfordern wuerde: Staedte muessten total umgeplant werden, das Gesundheitssystem wuerde komplett ueber den Haufen geworfen und so weiter. Es ist aber eine moegliche, leider zu radikale Loesung, die einige interessante Ideen enthaelt. Denkt euch euren Teil. Zum Schluss moechte ich noch kurz auf die Religionsfreiheit eingehen. Dies ist zwar nur ein kleineres Randproblem, doch wird es immer wieder von den Medien aufgegriffen. Nun, da der Staat voellig von der Religion losgeloest existiert, ist es jedem erlaubt, an das zu glauben, was er fuer wichtig und richtig haelt. Mit einer Ausnahme: Es darf nicht im Widerspruch zu dem geltenden Recht- und Wertesystem stehen. In den Schulen sollte daher nicht Religion, sondern Ethik standardmaessig unterrichtet werden. Da Deutschland jedoch in einer christlichen Tradition steht und sich christliche Werte selbst im Grundgesetz wieder finden, scheint es mir durchaus angebracht -zumindest vorerst- den christlichen Kirchen hier gewisse Sonderrechte einzuraeumen, Sonderrechte, die andere Glaubensgemeinschaften nicht fuer sich in Anspruch nehmen koennen. Anmerkung vom 02. Oktober 2007: Inzwischen habe ich diese Ideen etwas weiter gesponnen, vieles nochmals ueberdacht, einiges grundsaetzlich veraendert und neue Sichtweisen der Sache kennengelernt. Obwohl sich dadurch der Grundgedanke, die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu finden, nicht geaendert hat, werde ich wohl nicht drumherum kommen, eine Neuauflage dieses Artikels zu schreiben. Insbesondere mit Hinblick auf die letzten AEusserungen unseres amtierenden Innenministers, scheint mir das ganze ein wichtiges Thema zu sein. [1] http://de.wikipedia.org/wiki/John_Locke [2] http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Hobbes [3] http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Darwin [4] http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Marx [5] http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Engels