From: Boris Kraut Date: Sun, 18 Nov 2007 00:00:00 +0000 Category: Sender: Message-ID: <20071118000000.desVXW@silberbruch> References: Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Identitaet, Pseudonymitaet, Anonymitaet - Der buergerliche Name im Internet Im Usenet dauert der legendaere Streit, ob man mit seinem echten buergerlichen Namen schreiben sollte, schon seit AEonen an und hat sich inzwischen zu einer endlosen Diskussion entwickelt. Es gibt sogar einige Webseiten, die sich vertiefend mit dem Thema befasst haben und die Argumente beider Seiten gut zusammenfassen, stellvertretend seien hier [1] und [2] genannt. Man koennte meinen, dass eigentlich alles zu dem Thema gesagt worden ist, doch mit der zunehmenden Zahl von privaten Webseiten, Blogs oder so genannten sozialen Netzwerken und der flaechendeckenden Verbreitung des Internets, wird diese alte Frage auch fuer immer mehr Neulinge interessant. Gerade in einer Zeit, in der die Selbstentbloessung seines Inneren im Internet fuer einige Generation schon voellig normal ist oder sogar fuer Kult gehalten wird, sei es mir erlaubt noch ein mal genauer die Datenschutz-Frage aufzuwerfen. Moeglichkeiten zur Problemloesung ------------------------------- Auch ich war in meinen jungen Jahren ziemlich schnell dabei, mich irgendwo anzumelden -natuerlich mit meinem echten Namen- und hatte keine Probleme damit, dass diese Daten auch fuer jeden oeffentlich zugaenglich waren. Doch ich merkte relativ schnell, dass dies ein schwerer Fehler war und vollzog eine Kehrtwende. Ich achtete von nun an darauf, ueberall unter einem anderen Namen zu schreiben und ueberzog diverse Forenbetreiber und Suchmaschinen mit Loeschaufforderungen. Erstaunlicherweise hat das besser funktioniert als gedacht: Das Internet vergisst zwar nichts, aber man kann den Informationsfluss doch wieder einigermassen eindaemmen, zumindest bei so "unwichtigen Kleinigkeiten" wie persoenlichen Daten. Inzwischen bin ich aber wieder etwas am Umdenken, denn ich merke, dass einem eine sehr rigorose Blockadehaltung nicht wirklich hilft. Was nuetzt einem die geschuetzte Privatsphaere, wenn man sich selbst zu sehr beschneidet und einengt? Bei mir war der Ausloeser fuer das erneute UEberdenken der Wunsch, endlich mal eine eigene Webseite oder einen Blog zu betreiben. UEber Jahre hinweg habe ich immer wieder Designs entworfen und auch schon fleissig Artikel geschrieben, denn zu vielem was auf dieser Erde passiert, hatte und habe ich einiges zu sagen. Doch habe ich diese Aufschriebe nur im kleinen Kreis veroeffentlicht. Es kam also, dass ich vor einiger Zeit wieder an einem Layout werkelte und diesmal endlich mit meinem Blog den Schritt in das globale Netz wagen wollte. Hier war es dann, dass sich die Frage stellte, unter welchem Namen ich denn nun schreiben sollte. Folgende Moeglichkeiten zog ich in Betracht: - keine Veroeffentlichung bzw. nur im kleinen Kreis wie bisher - Publizieren unter einem falschen Nickname - Schreiben unter meinem Hauptnick - Verwenden von einem (oder mehreren) Pseudonym(en) - Veroeffentlichung unter buergerlichem Namen Hin und her geworfen zwischen den Moeglichkeiten, wurde mir immer mehr bewusst, dass das Leben nicht schwarz/weiss ist, sondern aus eine Vielzahl von Farben und Farbverlaeufen besteht. Es gibt kein gut oder schlecht, keine allgemein gueltige Antwort auf diese Frage. Jeder, der etwas veroeffentlicht, muss sich diese Frage selbst beantworten und man muss vor allem die Umstaende mit einbeziehen: Wo veroeffentliche ich? Was veroeffentliche? An wen ist es gerichtet? Das sind nur einige Fragen, die man beantworten sollte. Ich selbst bin zu einer neuen Strategie gekommen, mit der ich -so hoffe ich zumindest- den fuer mich passendsten Ansatz gefunden habe: - Schutz der Privatsphaere durch Selbstbeschraenkung: Als Grundprinzip sehr gut, doch als absolutes Gebot nicht zu gebrauchen. Man muss schon die Selbstdisziplin und das Rueckgrat haben, auch mal "Nein" zu sagen und eben nicht beim neusten Egostriptease-Trend mitzumachen, aber der Mensch an sich (bzw. zumindest ich) will kommunizieren und nicht vereinsamen. Ja, es gibt auch das echte Leben, klar, aber manche Dinge muessen fuer eine breitere Basis gesagt werden. Selbstzensur ist keine Option! - Gefaelschte Spitznamen: Fuer eine eigene Seite natuerlich nicht brauchbar bzw. sinnlos, doch fuer das schnelle Kommentieren von anderen Inhalten ideal. Generell kann ich jedem raten, so viele Nicknames wie moeglich zu verwenden. Am besten fuer jedes Forum, jeden Blog usw. einen eigenen ausdenken. Ja, das ist Mehraufwand (insbesondere wenn man sich dazu noch eine Fake-Mailadresse und ein Passwort merken muss), aber es gibt ja genuegend Programme, die einem diese Arbeit abnehmen. Ob man diese aber ueberhaupt einsetzen will, ist eine andere Frage, aber selbst wenn nicht, so sollte jeder bereit sein, fuer ein wenig mehr Privatsphaere auch etwas zu leisten. Wenn man immer nur den einfachen Weg geht, kann man auch gleich sich durchs Leben ziehen lassen. - Spitzname: Der "echte" Nickname sollte nur sehr bedacht benutzt werden. Um ehrlich zu sein, halte ich es sogar fuer besser, keinen universellen Nickname zu haben. Benutzt man immer (oder zumindest haeufig) den selben Nickname, so kann man schon sehr einfach Profile erstellen. Und wenn dann nur eine Verbindung zum echten Namen besteht, koennte man ebenso gut immer unter dem echten Namen schreiben. - Pseudonym: In Teilen des Usenets ist es sehr beliebt unter einem (oder mehreren) Pseudonym(en) zu posten. Damit gibt man den anderen keinen Grund zu einem Realname-Flame, der vom Thema wegfuehrt, und man wart trotzdem in gewissem Umfang seine Anonymitaet. - Echter buergerlicher Name: Im Usenet gehoert es zu den Netiquette, unter seinem richtigen Namen zu schreiben, was eine gewisse Menschlichkeit und auch Ernsthaftigkeit erzeugen soll. Jeder, der etwas schreibt, soll dafuer auch mit seinem Namen "buergen" und dahinter stehen. Bei Webseiten, die in Deutschland gehostet werden, greift das Telemediengesetz, so dass unabhaengig von der Frage, welcher Name unter dem Artikel steht, ein Verantwortlicher samt Adresse im Impressum benannt werden muss. Posten unter dem buergerlichen Namen - Ein Aufruf zum glaesernen Menschen? ------------------------------------------------------------------------ Mit Nichten! Auch wenn man unter seinem richtigen Namen schreibt, gibt es Moeglichkeiten, um zu verhindern, dass man nicht am naechsten Tag auf der Frontseite von Google seinen Namen finden kann: - Suchmaschinen ausschliessen und gegebenenfalls mit Loeschantraegen die Rechte am eigenen Text verteidigen! Dies bringt den Vorteil, dass man sich nicht mehr um irgendwelche Pseudo-SEO-Techniken kuemmern muss und man haelt seinen Namen etwas aus der OEffentlichkeit raus. - Keine Werbung! Auch wenn viele darin eine gute Moeglichkeit sehen, zumindest einen Teil der Kosten wieder rein zu bekommen, ist es meiner Meinung nach besser, keine Werbung zu schalten. Man befreit sich damit sehr von der Hit- Geilheit vieler Problogger. Ausserdem bloggt man dann mehr um des Bloggens Willen und veroeffentlicht auch mal Texte zu unbeliebten Themen, anstatt immer dem Mainstream hinterher zulaufen. - Bedacht beim Schreiben! Man sollte sehr genau auswaehlen, was und wie man schreibt, auch mit Hinblick darauf, dass trotzt alle Vorsichtsmassnahmen, Informationen kopiert, veraendert und neu veroeffentlicht werden. - Eigener Server! Falls moeglich, sollte man einen eigenen Server betreiben (bei den derzeitigen DSL-Anschluessen reicht es ja, einen ausrangierten PC dafuer her zu richten) oder zumindest sich die Frage stellen, in wie weit man seinem Hoster vertrauen kann. Auf keinen Fall sollte man sich derart die Kontrolle nehmen lassen, dass man die Urheberrechte an ein Unternehmen o.ae. ab tritt oder man nicht mehr selbst entscheiden kann, wann man etwas loeschen will. Damit scheiden solche Sachen wie StudiVZ natuerlich aus! Warum das ganze? Nun, ich fuer meinen Teil wie ein freier Buerger sein, der auf dem Marktplatz seine Gedanken und UEberzeugungen vertritt, und nicht ein an der Litfasssaeule angeheftetes Blatt, dass jeder zu seinem (finanziellen) Vorteil nutzen kann. - URL nur an Freunde weitergeben! Das mag zwar der Intention des Publizieren im Web entgegenstehen, doch wenn man auf persoenliche (bzw. ueber ein "Web of Trust") Verbreitung setzt, erreicht man auch viele Leute, von denen man zudem auch noch annehmen kann, dass sie sich benehmen koennen. Idealerweise schuetzt man seine Seite mit einem einfachen Passwort. Dieses Passwort kann bei einer Verlinkung gerne angegeben werden, um auch neue Benutzer zu bekommen, doch man sollte das Passwort und den Benutzernamen nicht in die URL einbauen, um nicht von irgendwelchen Suchrobotern heimgesucht zu werden. - Zitier- und Verlinkungsrichtlinien! Jeder sollte in seinem Impressum angeben, wie die Inhalte genutzt werden duerfen, wie man verlinkt werden moechte (nur mit dem Vornamen, dem Nick, dem kompletten buergerlichen Namen oder sogar nur mit dem Seitentitel?) und wie man es mit Zitaten haelt. Natuerliche bietet keine Massnahme die absolute Gewaehr, dass nicht doch etwas in falsche Haende geraet. Das kann man auch gar nicht verhindern, nur sollte man es trotzdem versuchen so etwas zu vermeiden. Scheisse passiert, so ist die Welt, aber deswegen muss man ja nicht in jeden Hundehaufen rein treten, den man sieht, oder? Zusammenfassend laesst sich also ueber meine Strategie sagen, dass ich versuche mich aus zentralistischen, proprietaeren und/oder nicht unter meiner Kontrolle stehenden sozialen Netzwerken, Suchmaschinen und aehnlichem herauszuhalten. Falls ich aus welchen Gruenden auch immer, dort teilnehmen muss, dann unter einer falschen Identitaet und mit Bedacht ausgewaehlten Beitraegen. Zum schnellen Kommentieren von Blogs verwende ich wechselnde Nicknames. Der richtige Nick, das Kurzzeichen und mein buergerlicher Name sind meiner eigenen Webseite vorbehalten. Letztere versuche ich mit diversen Methoden aus dem Index von Suchmaschinen raus zuhalten und gehe dagegen mit aller Haerte vor. Update: Inzwischen bin ich aufgrund einiger Vortraege doch wieder ueber die einschlaegigen Suchmaschinen zu finden. Ich werde mich weiterhin nicht dem Ego-Striptease hingeben, aber wer etwas zu sagen hat, der muss ein wenig in die Oeffentlichkeit gehen... [1] http://www.realname-diskussion.info/ [2] http://sockenseite.de/__oneclick_uploads/2006/10/realname-faq.html