From: Boris Kraut Organization: Date: Wed, 12 May 2010 00:42:37 +0200 Category: Message-ID: <20100511224237.DOPMry@silberbruch> Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Wie man sich selbst aus der Grube zieht.. Wie oft laesst man sich von Kleinigkeiten ablenken und ist danach unzufrieden mit sich selbst, weil man das, was man eigentlich erreichen wollte, nicht oder noch nicht erreicht hat beziehungsweise es immer und immer wieder aufgeschoben hat. Da ich gerade selbst in einer solchen Aufschieb-Phase war und vor einiger Zeit nun endlich den Absprung geschafft habe, moechte ich hier kurz meine "Veraenderungen" aufschreiben; eventuell findet sie der ein oder andere ja nuetzlich. Vorweg sollte ich sagen, dass einige der Vorschlaege ziemlich radikal und extrem klingen, es sogar sind. Vielleicht kommen andere mit weniger aus, fuer mich war es aber eine Hilfe. 1. Learning to ignore - focus is the builder of your reality Wie ich schon sagte, laesst man sich von viel zu vielen Dingen ablenken. Entweder man meidet diese Dinge, man "entfernt" sie oder man lernt sie zu ignorieren. Alles was wir nicht direkt in den Fokus unserer Wahrnehmung haben, passiert nicht, ist nicht real. Klar dreht sich die Welt auch ohne uns weiter und eventuell werden irgendwann die Folgen des Ignorierens wieder in unseren Fokus ruecken, aber fuer den Moment ist man frei, oder wie es Dragos Florin Roua sagt: > Focus is the actual builder of your reality. Is the fluid that > makes it move, change and look alive. Without your focus, things > aren't there. They might be (and this is something you can be > awareof) but they aren't there for you, for your reality. Focus > creates everything around you and this is a subtle yet incredibly > important shift form your standard reality approaches. 2. Vermeiden von Ueberkommunikation Wir leben in einer vollvernetzten Welt, Kommunikation ist ueberall und allgegenwertig. Das bringt viele Vorteile mit sich, aber eine so grosse Informationsflut kann auch hinderlich sein. Kann man einem blinkenden Chatfenster nicht durch Fokusentzug Herr werden, schliesst man eben das Chatprogramm. Die Welt wird (s.o.) auch ohne uns weiter existieren und man merkt dann vielleicht, dass man das ganze Stoerrauschen, das ganze Gezwitscher, das Gefuehl immer auf dem aktuellsten Stand sein zu muessen, gar nicht braucht. Man kommt gut damit klar, wenn man manche Infos gar nicht oder erst mit etwas zeitlichem Versatz wahrnimmt. In meinem Fall habe ich meinen Jabber-Account ganz dicht gemacht; eine Technik, die oft mit "Plaudern" uebersetz wird, aber vom Wortsinn eher negativ besetz ist und eher "plappern" oder gar "stoeren" meint, so eine Technik ist wohl unnoetig, wenn man sich auf wichtige Dinge konzentrieren will. Auch andere eigentlich sehr informative und nuetzliche Dienste, stoeren bei der o.g. Zielsetzung eher. Daher habe ich meine Feeds massiv ausgeduennt, mich von Mailinglisten mit einem sehr hohen Nachrichtenaufkommen abgemeldet und konsequent auf Webdienste, die mir derzeit nicht konstruktiv helfen, verzichtet. 4. Inbox Zero Bei Mails hat sich nicht allzuviel veraendert, denn ohne es zu wissen verwende ich schon langen eine Abart von "Inbox Zero". Alle Mails und Feeds, die es wert sind, landen in der Inbox, wobei eine volle Inbox keine Benachrichtigung sendet, d.h. ich entscheide selbst, wann ich mir dafuer Zeit nehmen will. Ziel ist es dann, die Mails in der Inbox moeglichst auf 0 zu bekommen, indem man sofort nach dem Lesen entscheidet, was man damit tun will: Loeschen, Delegieren, Antworten, Ausloeser beseitigen (z.B. Einkaufen gehen, wenn mich jemand daran erinnert, dass kein Essen im Haus ist) oder eben in der Inbox belassen, wenn man momentan nichts tun kann. Die Inbox wird also zu einer Art TODO-Liste. Waehrend ich selten die Null erreiche, so stapeln sich normalerweise 5-10 Mails darin, von denen ca. 2 Dauerparker sind; so etwas gibt es leider trotz toller Theorie immer wieder und das ist auch nicht schlimm, sondern gewollt: Ganz egal, wie wichtig etwas ist, wenn ihr momentan nichts dafuer/dagegen tun koennt, dann muss es warten. Punkt. 5. Einschraenkung der Entscheidungsvielfalt Vielfalt ist meistens sehr positiv zu sehen und auch die vielfaeltigen Moeglichkeiten, Entscheidungen zu treffen, sind an sich eingentlich eine wuenschenswerte Sache. Problematisch wird es, wenn man zu viel Zeit fuer das Abwaegen von Entscheidungen benoetigt, die sich nur in Nyancen unterscheiden; ganz schlimm ist es, dann gar keine Entscheidung zu faellen. Wie bei "Inbox Zero" ueberlegt man sich einfache Grundentscheidungen, damit kommt man realtiv zuegig durch. 6. Mach es! Wenn du entschieden hast, etwas zu tun, dann solltest du es tun. Und das gilt nicht nur fuer eventuell anstehende Arbeiten, sondern auch in der Freizeit. Wenn du Lust hast in den Park zu gehen, dann geh hin. Klar kannst du Freunde fragen, ob sie mitkommen wollen. Klar, kann es sein, dass du in dem Gespraech dann eine andere Entscheidung faellst. Aber mach dich nicht so sehr von anderen abhaengig, dass du nicht in den Park gehst, nur weil niemand mitkommt... 7. Go lightweight - fight easy Auch wenn es keinen direkten Einfluss auf mein Schaffen und meine Konzentration hat, so war es mental doch sehr befreiend auch bei dieser Gelegeneheit meinen Schluesselbund auszuduennen. Mit den Jahren ist er gewachsen und gewachsen, und jeder zusaetzliche Schluessel lastete schwer auf mir. Zwar koennen viele Schluessel ein erstaunliches Gewicht haben, aber ich rede hier vor allem vom gefuehlten Gewicht: Vertrauen, Erinnern an Aufgaben, die man wahrzunehmen hat und und und. Es war sehr befreiend, die meisten dieser Schluessel zu Hause ablegen zu koennen; ein weiterer Vorteil liegt darin, dass der SChluesselbund nun nicht mehr ganz so stark auftraegt ;) Das ganze laesst sich natuerlich auf weitere Gegebenheiten uebertragen, es geht darum sich von dem ganzen unnoetigen Balast zu befreien und das auch zu fuehlen. Die Schluessel sind nur ein ganz konkrets greifbares Sinnbild fuer all die oben genannten Massnahmen. Das waren nur ein paar Techniken (..und ich habe noch so viele vergessen, aber der Text ist schon lang genug), die mir geholfen haben, micht wieder zu fangen und nicht mehr paralysiert ob der grossen Probleme darzustehen. Die Probleme, die ich jetzt loesen kann, gehe ich an, aber es gibt natuerlich andere, die immer noch drohend ueber einem haengen und nur darauf warten, einen zu begraben; diese kann ich aber derzeit nicht loesen und daher ist es sinnlos ihnen zu viel Aufmerksamkeit zuzubilligen. Diese Zeit kann und sollte man eher den Problemen zugestehen, die man loesen kann. Allen Techniken gemein ist aber ein Gedanke: Einfachheit. Komplexe Sachverhalte als Abfolge einzelner, einfacher Entscheidungen zu sehen. Die Komplexitaet auf ein handhabbares Minimum zu reduzieren, damit man nicht von ihr erschlagen wird, sich nicht in ihrem Labyrinth ver- irrt und sich nicht aus Hoffnungslosigkeit aufgibt. Damit kann man sich zumindest wieder "in Gang" bekommen, etwas Schwung holen, Neustarten. Was man dann spaeter macht, ist eine andere Frage. Einfachheit ist gut; aber sie ist nicht alles, denn manche Situationen sind einfach komplex -- oder sind wir einfach nur zu unfaehig, sie "einfach" zu sehen?