From: Boris Kraut Organization: Date: Sun, 23 May 2010 20:02:35 +0200 Category: Message-ID: <20100523180235.Q1WWIn@silberbruch> Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Medien und Gesellschaft - Leben wir in einem digitalen Panoptikum (pt. ii) X-Seminar: Medien und Gesellschaft X-Termin: Leben wir in einem digitalen Panoptikum X-Datum: 12.05.2010 X-Bereich: PH Karlsruhe - Soziologie X-Dozent: Dr. phil. Marina Liakova X-Autor: Boris Kraut EINLEITUNG Im Seminar hat sich zu dem Thema ein reges Gespraech entwickelt, aber leider haben wir uns wohl relativ schnell in technischen Kleinigkeiten verloren und damit andere Teilnehmer schlichtweg abgehaengt. Daher ist hier ein Versuch, die Problematik ohne viel Technik zu erklaeren -- ganz ohne wird es aber nicht gehen. RECHTLICHE ASPEKTE Die meisten Datenschutz-Bemuehungen, seien es Gesetze, Urteile oder einfache Informationsveranstaltungen berufen sich hier in Deutschland im Endeffekt auf das im Grundgesetz verankerte `Allgemeine Persoenlichkeitsrecht` und auf europaeischer Ebene auf die `Europaeische Menschenrechtskonvention`. Dort heiszt es: > Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner > Wohnung und seines Briefverkehrs. -- EMRK Art. 8 (1) Auch das Bundesverfassungsgericht hat dem Datenschutz in seiner Rechtsprechung immer wieder Grundrechtsrang bescheinigt, beispielsweise mit der Schaffung des `Rechts auf Informationelle Selbstbestimmung`. Den fuer uns eigentlich relevanten Umgang mit Daten regeln Bundes- und Landesgesetze, Richtlinien, Datenschutzbestimmungen und selbstauferlegte Verpflichtungen. Aus dem bisherigen Text ergeben sich schon einige Probleme, die ich kurz verdeutlichen moechte: 1) Gesetze und Regeln lassen sich leicht brechen oder umgehen. Nur weil etwas verboten ist, bedeutet das nicht, dass es nicht mehr praktiziert wird; insbesondere dann, wenn... 2) ... es sich um lokale Gesetze handelt und der eigentliche Tatort global ist. Waehrend Deutschland und gewissermaszen auch unsere europaeischen Nachbarn relativ starke Datenschutzgesetze haben, ist die Lage in den Vereinigten Staaten eine andere. Aus der Kultur und Tradition heraus beruft man sich dort viel haeufiger auf die (Meinungs-)Freiheit und geht Datenschutzprobleme eher sehr zoegerlich an. Andere Laender kuemmern sich noch weniger um eigene Datenschutzgesetze oder gar die Bestimmungen von auszen. Gerade im Internet verschwimmen die Grenzen der Laender und damit auch die Zustaendigkeit nationaler Gerichte. 3) Jedes Selbstbestimmungsrecht impliziert immer einige Annahmen, die es wirkungslos verpuffen lassen koennen, so auch hier: Niemand kann gezwungen werden, dieses Recht wahrzunehmen oder auszuueben, insbesondere steht es ja jedem frei, dieses Recht selbstbestimmt [sic!] auszuueben und -- im konkreten Fall -- ein Datenschutzgrundrecht dazu zu nutzen, um Daten von sich zu veroeffentlichen. Jeder muss selbst entscheiden. Anmerkung: Da wir hier an einer Paedagogischen Hochschule sind darf ein Hinweis auf die Muendigkeit nicht fehlen. Meiner Meinung nach findet eine kritische Betrachtung der Fakten oftmals nicht statt, womit es wahrlich schwerfallen duerfte `aktiv` eine Entscheidung zu treffen. Ich moechte mir nicht anmaszen ueber die Muendigkeit anderer Leute zu urteilen, aber ich denke, dass ein fehlendes Hintergrundwissen ueber die sehr komplexe technische Seite des Themas eine objektive Entscheidungsfindung doch sehr erschwert. Gluecklicherweise ist Datenschutz nicht in erster Linie ein technisches Problem, sondern ein soziales, siehe unten. 4) Wie oben erwaehnt ist der rechtliche Rahmen, der uns im Alltag betrifft, nicht der, mit dem ich oft argumentiere. Privatwirtschaftliche Unternehmen lassen sich durch verfassungsrechtliche Geplaenkel oder Argumentationen kaum beeindrucken; im Zweifelsfall gehen sie ins Ausland (vgl. Punkt 2) oder lassen sich die noetigen Rechte durch den Nutzer uebertragen (vgl. Punkt 3). STAAT UND PRIVATE UNTERNEHMEN Wie in Punkt 4 angesprochen ist es ein Unterschied, ob wir uns ueber staatliche Datensammlungen oder das Interesse privater Unternehmen an unseren Daten unterhalten. Leider lassen sich beide Gebiete nicht immer trennen, aber da das Ueberthema "Medien und Gesellschaft" ist, werde ich mich ab jetzt eher auf den Umgang mit privatwirtschaftlichen Datensammlungen insbesondere im Internet beschraenken. Ein paar Stichpunkte seien mir aber dennoch erlaubt: Dass der Staat schon jede Menge Daten ueber uns hat ist bekannt. Wir haben auch darueber gesprochen, dass er einen Teil dieser Daten auch wirklich braucht, um Planungssicherheit zu erlangen, die letztlich auch zu unserem Besten ist. Aber auch der Staat soll und darf nicht alles wissen (und hier kann man wirklich verfassungsrechtlich argumentieren)! Es ist beunruhigend zu sehen, wie versucht wird, immer weitere Daten zu erhalten. Einige Projekte aus der letzten und naechsten Zeit, bei denen der Staat zumindest teilweise beteiligt ist, sind u.a. der ePerso, die eGesundheitskarte, die Volkszaehlung 2011 oder das deMail- Projekt -- alle Stichpunkte sind eine Websuche [mit dem Anbieter eurer Wahl ;)] wert. Neben der generellen Bedrohung, dass unsere Demokratie durchaus nicht fuer die Ewigkeit gebaut sein muss und dass gerade in totalitaeren Staatsformen eine in demokratischen Zeiten angehaeufte Datensammlung eine willkommene Basis fuer Repressionsmassnahmen waere, muss man sich bewusst machen, dass frueher oder spaeter jede Datensammlung auch in Haende geraet, fuer die sie nie bestimmt war -- in Deutschland, aber insbesondere auch in Grossbritannien gibt es dafuer schon jede Menge Beispiele. Menschen und Technik sind gerade bei grossen, zentralen Sammlung von sensiblen Daten einfach nicht vertrauenswuerdig. Weitere Bereiche, die sich fuer eine tiefere Betrachtung lohnen koennten waeren unter anderem: - Daten werden meist erst zweckgebunden erhoben und wecken dann die Begehrlichkeiten der Sicherheitsbehoerden, z.B. LKW-Maut. - Datensammelwut, Aktionismus und Ueberwachung schaffen ein truegerisches Sicherheitsgefuehl. - Zusammenfuehrung von Daten und zentrale Speicherung ermoeglichen leichteren Missbrauch und gefaehrden die Privatsphaere. Es gibt nicht ohne Grund einen Richtervorbehalt; man erinnere sich an den Grundsatz `so viel wie noetig, so wenig wie moeglich`... - Das Vertrauen in staatliche IT-Grossprojekte -- insbesondere in deren (Kosten-) Planung und Datensicherheit -- ist zumindest auf meiner Seite nicht mehr gegeben. - Private Unternehmen uebernehmen immer haeufiger staatliche Aufgaben und bekommen damit auch Zugriff auf Daten, die wir eigentlich nur in sicheren Haenden wissen wollten. Gegen Ende des Seminars habe ich provokant formuliert, dass ich mehr Angst vor unserem Staat als vor Terrorismus habe. Ich denke diese These bedarf noch einer Erklaerung: - Ich verurteile Terroranschlaege jeglicher Art und bin mir der drohenden Gefahr durchaus bewusst. - Uns geht es in Deutschland gerade was die Sicherheit betrifft sehr gut, denn... - ... ich habe festes Vertrauen in unsere Sicherheitsbehoerden. Diese leisten auch ohne weitere Ueberwachungsmassnahmen eine sehr gute Arbeit. - Es gibt derzeit kaum Faelle von Terrorismus in Deutschland. - Terroranschlaege rufen grosses Entsetzen und Angst hervor, ihre Wirkung wird aber gerade in der Bevoelkerung deutlich ueberschaetzt: Es sterben deutlich mehr Leute im Alltag, beispielsweise durch Autounfaelle, als durch Anschlaege. Bei Anschlaegen sind die Opferzahlen zwar punktuell sehr hoch, aber ueber laengere Zeit gerechnet niedrig. Es ist daher nicht der materielle oder menschliche Schaden, der uns Angst macht, sondern das Aufzeigen unserer Schwaechen, unserer Hilflosigkeit. - Waehrend meines normalen Tagesablaufs denke ich fast nicht an Terror. Ich habe keine Angst davor. - Ich sehe allerdings ganz aktiv massive Ueberwachung, ich sehe Aufruestung der Polizei, ich sehe Missbrauch der Polizeigewalt -- vgl. Meldungen zum G8-Gipfel 2001 oder FSA-Demo 2009 -- und all das macht mir Angst Oberste Ziel des Staates sollte die Sicherheit seiner Buerger sein; aeussere, innere, soziale usw. Wilhelm von Humboldt teilte dieses universale Verstaendnis von Sicherheit in zwei Aufgaben auf, aeussere Sicherheit und Gewaehrleistung von Bildung fuer seine Buerger. Im Endeffekt steht das aber meiner Aufteilungen nicht im Wege, denn um wirkliche Bildungsmoeglichkeiten zu schaffen, muessen auch und gerade soziale Sicherheiten vorhanden sein. Sicherheit ist also die zentrale Aufgabe eines Staates. Allerdings duerfen wir, die Buerger, nicht unsere gesamte Freiheit dafuer aufgeben, denn unsere Aufgabe heisst Bildung und diese bedarf der Freiheit! Um es mit den Worten eines ehemaligen Praesidenten des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, zu sagen: > Einen Staat, der mit der Erklaerung, er wolle Straftaten verhindern, seine > Buerger staendig ueberwacht, kann man als Polizeistaat bezeichnen. Den > Polizei- oder Ueberwachungsstaat wollen wir nicht. Ja, die Freiheit kann auch negativ genutzt werden, aber es sind gerade auch die dunklen, schmutzigen Ecken, die eine Demokratie ausmachen. Sie kann und muss es aushalten koennen, nicht alles total zu ueberwachen und zu kontrollieren. DAS PROBLEM MIT DEN DATEN Viele von uns unterscheiden persoenliche Daten in solche, die schuetzenswert sind und solche, die eben weniger schuetzenswert sind. Wichtig dabei ist, dass das eine Entscheidung ist, die jeder selbst treffen muss -- und zwar nur fuer seine eigenen Daten. Prinzipiell aber ist jede kleinste Information ueber uns schuetzenswert, wie es auch das Bundesverfassungsgericht im `Volkszaehlungs- urteil` entschied: > Dadurch kann ein fuer sich gesehen belangloses Datum einen neuen Stellenwert > bekommen; insoweit gibt es unter den Bedingungen der automatischen Daten- > verarbeitung kein "belangloses" Datum mehr. Durch die automatische Zusammenfuehrung und Auswertung von Daten entstehen auch bei Unternehmen immer wieder `Bilder` von einzelnen Menschen/Benutzern oder eben Personengruppen. Diese Bilder koennen richtig oder falsch sein und ein falsches Bild kann wiederum positiv oder negativ fuer den Betroffenen sein. Wenn ich in einem Online-Shop ein Produkt suche, und mir dann automatisiert Vorschlaege gemacht werden, was ich eventuell suche, dann kann das durchaus positiv sein. Wenn ich allerdings aufgrund dieses Bildes einen hoeheren Preis zahlen muss oder bestimmte Artikel gar nicht kaufen kann, dann ist das natuerlich eher negativ zu sehen. Krankenakten sind ein weiteres Beispiel, bei dem man durchaus positive Verwendungen finden kann: Gerade im Notfall-Bereich kann es Leben retten, wenn man schnellst moeglich ein umfassendes Bild des Patienten erhaelt, allerdings wuerde es niemand gut finden, wenn man aufgrund eigentlich geheimer medizinischer Unterlagen bei Krankenkassen hoehere Beitraege zahlen muesste oder vom Arbeitsgeber nicht eingestellt wuerde. Interessant daran ist, dass wir z.B. Google durch unsere Suchanfragen schon sehr genaue Angaben ueber eventuelle Krankheiten geben, die wir so eigentlich niemanden persoenlich sagen wuerden. Das eigentliche Problem laesst sich relativ buendig zusammenfassen: Wir koennen den Fluss der Daten und deren Verwendung nicht kontrollieren. Wir haben Angst davor, dass Daten ohne unser Wissen weitergegeben werden und an Personen oder Unternehmen gelangen, die sich daraus einen Vorteil bzw. uns einen Nachteil verschaffen. Man moechte nicht, dass die Bankdaten an Fremde gelangen, die damit Zugriff auf das Konto erhalten. Man moechte nicht, dass der Partner von der Affaere erfaehrt. Man moechte nicht, dass man bewertet wird (und aufgrund dieser Bewertung beispielsweise eine Arbeitsstelle nicht bekommt) ohne, dass man sich selbst rechtfertigen und erklaeren kann. LOESUNGSANSAETZE Es gibt eine Reihe von Loesungsansaetzen, die zwar alle in gewisser Weise hilfreich sind, aber keine davon wird das Rad der Zeit zurueckdrehen koennen. Aber man kann es in diese Hinsicht zumindest so weit verlangsamen, dass man den Risiken besser Herr werden kann. Datenvermeidung sollte der erste Grundsatz sein, denn je weniger Daten von uns im Umlauf sind, desto weniger potentielle Probleme koennen daraus entstehen. Das Manko an diesem Ansatz ist, dass wir es gar nicht in der Hand haben, die Preisgabe von Daten zu verhindern. Selbst wenn man sich total zurueckziehen wuerde und keine Daten mehr veroeffentlicht, so hindert das ja niemanden daran, Daten ueber uns zu veroeffentlichen und/oder zu sammeln. Damit das Ganze nicht zu theoretisch wird ein kleines Beispiel: Jemand der nicht StudiVZ nutzt, wird eventuell nie erfahren, dass dort trotzdem ueber ihn geschrieben wird oder dass dort trotzdem Bilder von ihm veroeffentlicht wurden. Persoenliche Daten muessen nicht zwangslaeufig ihren Ursprung bei uns selbst haben! Eine zweite Moeglichkeit ist es, Daten loeschen zu lassen. Im Gegensatz zur landlaeufigen Meinung sind gerade groessere Unternehmen wie Google sehr schnell bereit, persoenliche Daten zu loeschen, doch ist das genug? Nein, denn es ergeben sich daraus neue Schwierigkeiten und Fragen: Wurde wirklich alles geloescht oder sind die Daten nur nicht mehr oeffentlich sichtbar? Wie sieht es -- wie im Seminar angemerkt -- mit Backups aus? Jeder Computernutzer wird inzwischen wissen, dass man immer und so oft wie moeglich Sicherheitskopien erstellen soll. Unternehmen handeln ebenso und es ist viel zu aufwendig fuer sie, einen Datensatz aus allen Sicherungen zu loeschen. Selbst wenn, wuerde das wohl nichts bringen. Daten die einmal der Oeffentlichkeit (oder einem kleinen Teil von ihr) preisgegeben wurden, kann man nicht mehr zurueckholen. Ein Bild in StudiVZ kann man loeschen lassen, aber wenn es nur einer angeschaut hat, hat er die Moeglichkeit gehabt, eine Kopie davon zu ziehen und koennte es wieder und immer wieder hochladen. Man sieht also, was dem Menschen leicht faellt, das Vergessen, das ist im digitalen Zeitalter zu einem echten Problem geworden. Exkurs: In den meisten Datenbanken wird aus Gruenden der Konsistenz und der Performance nicht mehr geloescht, sondern Datensaetze nur als `geloescht` -- besser gesagt als `zu loeschen` -- markiert. Eher den gegensaetzlichen Weg gehen Leute, die meinen das System ueberlisten zu koennen, indem sie genuegend Fehlinformationen streuen, um eine Art Datenrauschen zu erzeugen. Nur gute Bekannte sollen wissen, welche Information falsch und welche richtig ist. Vielleicht ein gut gemeinter Ansatz, aber in der Praxis ist er weder praktikabel (Zeit- und Ressourcenverbrauch) noch sinnvoll (Mustererkennung wird immer genauer!). Eine Abwandlung, die etwas mehr Gehalt hat, waere es sich eigene Internet- identitaeten zu schaffen, die zwar zu einem gehoeren, aber quasi nur als weisze Weste dienen sollen. Allerdings wird es nicht lange dauern, bis man Fehler macht und am Ende doch Informationen an die Oeffentlichkeit gelangen, die man eigentlich verheimlichen wollte. Da man aus all diesen Ansaetzen gelernt hat, gibt es die die Nachteile der ersten beiden Methoden per Gesetz zu kippen: Daten ueber uns kursieren auch ohne unser Wissen, es muss daher dafuer gesorgt werden, dass Unternehmen, die Daten von uns haben, uns dieses auch mitteilen. Einmal im Jahr sollen die Firmen Rechenschafft ablegen, welche Daten sie ueber uns gespeichert haben, woher diese kommen und auf welcher Grundlage sie diese Daten haben und verarbeiten. Diese Idee nennt man Datenbrief, wobei es nicht unbedingt immer ein Brief sein muss, sondern die Kommunikation sollte auf dem Wege ablaufen, der fuer die normale Kundenkommunikation erfolgt: Brief, eMail, Telefon, usw. Damit waere wohl auch das zweite Problem geloest, denn der Grund warum Daten nicht geloescht werden ist der, dass es aufwaendig ist. Wenn man nun gesetzlich einen Datenbrief vorschreibt, wird die Datenhaltung automatisch teurer. Es wird also ein u.a. finanzieller Anreiz geschaffen, Daten wirklich zu loeschen. Hauptkritikpunkt ist der, den jedes Gesetz hat: Man kann sie brechen und lokale Gesetze besitzen immer nur lokale Gueltigkeit. Wem vertraue ich? Das ist meiner Meinung nach die zentrale Frage, die sich jeder stellen sollte. Nur weil ein Unternehmen `nicht boese` sein will, nur weil jeder einem Unternehmen vertraut, heisst das noch lange nicht, dass ich diesem auch vertrauen muss. Ein gesundes Misstrauen kann hier ein sehr guter Ratgeber sein. Wir sollen nicht mit `Fremden` reden, diesen Tipp haben wohl die meisten von unseren Eltern gehoert und auch wir geben diesen Ratschlag gerne an die naechste Generation weiter. Aber warum scheinen wir das, was im `realen` Leben richtig scheint und uns gute Dienste geleistet hat, im Internet vollstaendig? Wer kann wirklich sagen, wer Google ist? Wer ist StudiVZ? Welche Unternehmen und welche Menschen stehen dahinter? Sind das nicht alles Fremde? Wie im Seminar erwaehnt halte ich Datenschutz fuer sehr wichtig und kann jedem nur empfehlen sich die richtige Mischung aus Schutzmechanismen anzueignen, aber mir ist klar, dass man damit das Problem nicht loesen wird. Meine grosse Hoffnung bleibt nur, dass sich diejenigen, die Entscheidungen aufgrund meiner Daten treffen, sich irgendwann bewusst werden, dass solche oeffentlichen Informationen immer nur unverifizierte Bruchstuecke aus dem Sein und Schein einer Person sind. Es ist wuenschenswert, dass bei wichtigen Entscheidungen immer eine ganzheitliche Betrachtung der Person vorgenommen wird und dass man der jeweiligen Person auch die Moeglichkeit gibt sich zu erklaeren. Plaediere ich, als Datenschuetzer, nun dafuer, dass man sich ganzheitlich im Internet dokumentieren soll? NEIN, es geht nur darum, eventuelle Rueckfragen schluessig beantworten zu koennen. Privatsphaere und auch Anonymitaet sind schuetzenswerte Gueter, die man trotz Missbrauchsmoeglichkeiten, erhalten muss. FREIHEIT VS. SICHERHEIT Fasst man beide Begriffe absolut auf, so ist es verstaendlich, dass viele sich eher der Sicherheit als der Freiheit verschreiben. Zu aller erst geht es um das eigene Ueberleben, um Sicherheit -- fuer eine staerkere Ausdifferenzierung vgl. beispielsweise Maslowsche Beduerfnispyramide. > Die meisten Menschen interessieren sich primaer fuer die physische Existenz- > sicherung. Ihr Leben wird im Schillerschen Verstaendnis vom Naturtrieb > bestimmt. -- R. Bolle (ueber Schiller) Doch was unterscheidet das reine Ueberleben vom Leben? Ist es nicht die Freiheit, die aus dem Ueberleben das Leben hervorbringt, die der Existenz Rang verleiht? Im Zweifelsfalle ist jemand, der der Sicherheit Vorrang gibt, nicht mehr als ein eingesperrtes Haustier (vgl. Aristoteles), ein Sklave, der seinem Herrn ausgeliefert ist. Ist das noch ein menschenwertes Leben oder ist es dann nur noch der tierische Ueberlebensinstinkt, der unser Handeln lenkt? Zu unserem Glueck, muessen wir keine absolute Entscheidung dazu faellen. Es geht vielmehr darum, die richtige Mischung, das richtige Verhaeltnis zu finden. Auch wenn ich der Freiheit deutlich mehr Gewicht einraeume, als der Sicherheit, so bin ich doch sehr froh darum, in diesem Land in einer gewissen Sicherheit zu leben. Es ist sogar so, dass die primaere Aufgabe des Staates die Sicherheit seiner Buerger ist. Allerdings ist es eine der primaeren Aufgaben der Buerger -- die ja die Grundlage fuer Staat sind -- seine eigene Freiheit und die anderer zu verteidigen. Bezieht man die Frage auf die modernen Medien, so muss es auch hier eine Abwaegung geben. Das Internet steht -- ganz wertneutral -- fuer einen freien Austausch von Informationen. Diese Informationen koennen gut oder schlecht fuer uns sein. Es gibt immer wieder Bestrebung diesen Austausch staerker zu kontrollieren, was aber im Endeffekt zu einer Sammlung aus kleinen, nationalen Netzwerken fuehren wird, deren Struktur wohl deutlich konsumorientierter waere. Viele, die die Vorteile des heutigen Internets schaetzen, werden allerdings in Untergrundnetze abwandern: Die Technik hinter dem Internet ist offen, prinzipiell kann sich jeder sein eigenes Internet aufbauen. Diesen `Geist` kann man nicht mehr in die Flasche zurueck bringen. Uebrigens ist das Internet kein rechtsfreier Raum. Es gilt als eins der am meisten reglementierten Kommunikationsmittel der heutigen Welt. Das Problem ist, dass hier versucht wird ein globales Medium mit lokalen Regeln in den Griff zu bekommen. Ja, das Internet kann auch fuer Verbrechen genutzt werden, aber das der Technik anzulasten, waere ein fataler Fehler. Der Schutz meiner persoenlichen Daten hat fuer mich einen sehr hohen Stellenwert. Doch wenn ich gezwungen waere fuer das Internet zwischen den beiden Extremen Sicherheit und Freiheit zu waehlen, ohne dass es die Moeglichkeit gibt, beide zusammenzufuehren, dann wuerde ich mich wiederum fuer die Freiheit entscheiden -- auch wenn das bedeutet, dass andere sich die Freiheit nehmen, meine Daten zu sammeln, sich zu veroeffentlichen oder sie zusammenzufuehren. Ich werde das nicht gut heissen, ich werde versuchen das zu unterbinden, aber letztendlich durchsetzen werde ich das nicht koennen. Schlussendlich wuerde ein so absolut freies Medium wohl eine gesellschaftliche Veraenderung geradezu erzwingen. Meine Hoffnung ist wie gesagt nicht, dass ploetzlich jeder weniger Daten preis gibt, sondern eher, dass die Gesellschaft lernt, Daten besser zu bewerten, dass man den betroffenen Personen die Moeglichkeit bietet, sich selbst zu erklaeren, dass erkannt wird, dass nicht jedes Datum richtig oder aktuell ist und dass in Zukunft eher auf eine ganzheitliche Betrachtung wert gelegt wird. LEBEN WIR IN EINEM DIGITALEN PANOPTIKUM Zum Abschluss moechte ich noch einige Absaetze zum eigentlichen Untertitel des Seminars sagen: Ein Grossteil der Gesellschaft hat es inzwischen akzeptiert, beobachtet zu werden (z.B. Videoueberwachung) und man ist sogar so weit, dass man sich gerne zur Schau stellt (z.B. Soziale Netzwerke). Auch wenn inzwischen immer mehr Menschen auch ueber die negativen Seiten Bescheid wissen, wird sich dieser Trend nicht so schnell umkehren -- um ehrlich zu sein, sind inzwischen die Fakten geschaffen, dass er gar nicht mehr umkehrbar ist. Selbst wenn wir (und andere) keine Daten ueber uns im Internet verbreiten, so kann jeder uns beobachten, wie es ihm recht ist. Google schaut aus dem Weltall in unsere Gaerten und faehrt durch die Strassen um unsere Haeuser zu filmen. Denken wir diese Ueberwachung ein wenig in die Zukunft, so bieten uns nicht mal mehr Mauern Schutz fuer unsere Privatsphaere: Warum sollte man Autos nicht auch mit IR-Kameras ausstatten? Warum schickt man nicht gleich dutzende Autos (oder gar Flugdrohnen) rum, um moeglichst feingranulare und aktuelle Ergebnisse zu finden? Warum beschraenkt man sich auf WLAN-Daten, wenn drahtlose Kommunikation doch weit verbreitet ist und immer noch zunimmt (mal ganz abgesehen von TEMPEST- bzw. van-Eck-Strahlungen)? Gewollt oder ungewollt, wir geben immer mehr Daten von uns preis, jeder kann uns beobachten und wir werden es in den meisten Faellen nicht mal merken. Leben wir also -- in naher Zukunft -- in einem digitalen Panoptikum? Ja und Nein! Es haengt auch von der oben genannten Frage nach Sicherheit oder Freiheit ab. Waehlen wir die Sicherheit, so waehlen wir zusaetzlich zu der nahezu unausweichlichen digitalen Totalueberwachung ein reines Ueberleben im Kaefig, wir sind eingesperrt, wir sind der Willkuer unserer Waechter ausgeliefert, wir leben in einem digitalen panoptischen Gefaengnis! Waehlen wir allerdings die Freiheit, so koennen wir zwar nichts an der Ueberwachung aendern, aber wir haben es selbst in der Hand aufzuruesten und unsere Waechter zu ueberwachen! Wir koennen ueberwacht werden und werden es auch nicht merken, aber prinzipiell koennten wir auch jeden anderen ueberwachen, ohne dass er es merkt. Freiheit und Transparenz werden dafuer sorgen, dass ein Satz aus Bibel wohl wieder deutlich mehr Gewicht bekommt: > Wer von euch ohne Suende ist, werfe den ersten Stein! Hoffen wir, dass in einer Zukunft, in der jeder alles wissen koennte, der Blick fuer das richtige Masz erhalten bleibt: Weder soll durch eine falsch verstandene Toleranz alles relativiert werden oder egal sein, noch sollte man in Angst leben muessen, weil jede kleine Schwaeche geahndet wird –- sind es nicht gerade die kleinen Schwaechen, die einen Menschen menschlich machen? ABSCHLUSSBEMERKUNG Ich habe nun sehr viel Text geschrieben, habe das ein oder andere erklaert, vieles weggelassen, anderes zu sehr betont und bin am Ende sogar in einer Dystopie versunken. Nicht alles, was ich sagte, war ernst gemeint, aber manchmal muss man seinen Blick von dem, was ist, wegwenden auf das, was vielleicht mal sein wird. Ich kann euch nicht sagen, wie die Zukunft wird und wie wir uns in dieser oder jener Sache entscheiden sollen. Das ist eure Aufgabe. Es folgen einige Stichpunkte, die es leider (noch) nicht in diese Version des Dokuments geschafft haben: - Netzneutralitaet - Chilling Effect - Panopticlick (https://panopticlick.eff.org/) - Hackerethik, 80er: Oeffentliche Daten nuetzen, private Daten schuetzen. - Grundrechte-Report 2010