From: Boris Kraut Organization: Date: Sat, 29 May 2010 01:50:02 +0200 Category: Message-ID: <20100528235002.EcY8OL@silberbruch> Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Ueber die Musik Ich habe erst sehr spaet angefangen Musik zu hoeren; meist nur wegen der Liedtexte. Sie drueckten aus, was ich selbst dachte und die Saenger schrien die Worte geradezu heraus, die ich schon immer sagen wollte, die ich innerlich schon so oft gesagt hatte, aber wo ich aeusserlich bisher immer ruhig und still blieb. Auf Dauer wurde mir das allerdings zu langweilig. Es war mir zu wenig, denn das, was ich selbst schon dachte, dass musste mir kein Musiker oder Saenger nochmals ins Ohr fluestern. Die eigenen Gedanken durch die Worte anderer zu hoeren kann einen bestaerken und in gewisser Weise Sicherheit und Genugtuung verschaffen, aber ich wollte mehr. Inzwischen empfinde ich es eher stoerend und ich geniesse Musik am liebsten in ihrer rein instrumentalen Form. Losgeloest von den Worten, die ich allerdings seperat weiterhin betrachte, kann ich endlich Musik fuer das geniessen, was sie sagen koennte, allein wegen der Stimmung, die sie in mir weckt, wegen der Gefuehle -- meine eigenen Gefuehle, nicht die des Musikers, meine... Genau wie ein Buch einem meist viel mehr Freiheiten laesst, das Geschriebene zu durchdenken, zu hinterfragen und sich sein eigenes Bild zu machen, als ein Film, ist Musik ohne Gesang fuer mich deutlich freier und ein Quell der Inspiration. Keine vorgekauten Gedanken mehr, sondern ein Anstoss zum Selbstdenken, zum Traeumen. Anfangs waren es meist nur Piano-Versionen bekannter Rock-Baladen, die mich begeisterten -- sogar so weit begeisterten, dass ich wieder angefangen habe Klavier zu spielen -- aber Klavier ist nicht alles. Gerade bin ich eher zufaellig ueber das `Vitamin String Quartet` gestossen, eine Gruppe von Musikern, die in wechselnder Besetzung bekannte Lieder in einer reinen Streicher- Interpretation darbieten. Dabei unterscheiden sich diese Neu- schoepfungen teilweise gravierend von der Stimmung der Originale, was ganz und gar nicht schlecht, sondern meist sogar erfrischend ist. Bitte versteht mich nicht falsch. Musik ist toll, sowohl mit als auch ohne Gesang, mit einem kompletten Orchester oder nur mit einer Akustik-Gitarre, ob elektronisch oder klassisch. Jeder sollte die Musik hoeren, die er mag, die ihm hilft `zu sein`. Ich beschraenke mich nicht auf dieses oder jenes, aber diese "reine" Form von Musik hilft mir nun schon seit einiger Zeit ungemein dabei, meine eigenen Erfahrungen, Gedanken und Gefuehle zusammenzudenken, sie quasi zu destillieren und damit neu zu erfahren oder gar zu erleben. Das ist wundervoll! Wo ich doch gerade auch elektronische Musik angesprochen habe, muss ich wohl auch noch kurz erwaehnen, dass ich auch lange Zeit -- parallel zu anderer Musik -- Chiptunes gehoert habe. Vielleicht konnte man da schon meinen Hang zum Minimalismus erahnen und das ein oder andere Stueck hat auch aehnliche Gedanken und Gefuehle wie z.B. die VSQ-Stuecke hervorgebracht, aber bei den meisten Chiptunes ging es mir zumindest damals nicht um Gedanken, sondern ums Abschalten und Loslassen von der Welt.