From: Boris Kraut Organization: Date: Sat, 22 Jan 2011 12:17:05 +0100 Category: Message-ID: <20110122111705.pMVObY@silberbruch> Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Von den Auswirkungen des "Beobachtet werden" ... Waehrend man in den unteren Stufen der Schulphysik eigentlich immer alles erklaeren kann und man immer dem selben Problemloesungsmuster folgt -- man erkennt ein Problem, man konkretisiert es, man macht spezielle Experimente, man interpretiert die Ergebnisse und am Ende wirft man Mathematik auf das Problem, um eine "Formel" zu haben -- gab es in den Klassenstufen 11/12/13 interessante Phaenomene, die mich wirklich sehr gefesselt haben. Zum Beispiel als wir an der Oberflaeche der Quantenphysik gekratzt haben: Die Feststellung, dass das Beobachten den zu beobachtenden Effekt, gar den Zustand eines Teilchens selbst, aendert, war eine komplett neue Erfahrung, die dem bisherigen Muster komplett widersprach. Die Gegenwart. Was damals nur fuer den Mikrokosmos galt, das gilt auch fuer vieles was den Menschen betrifft. Macht man eine Schueler- beobachtung und der betreffende Schueler merkt dies, so veraendert er sein Verhalten. Er stellt sich die Frage, warum er beobachtet wird: Ist er verhaltensauffaellig? Ist seine Leistung besonders gut? Oder gar besondes schlecht? Und im Ende hat er nur zwei Moeglichkeiten, entweder er versucht dem zu entsprechen, was er als Grund fuer die Beobachtung erkannt haben mag, oder er versucht eben das Gegenteil anzustreben. Das alles mag keine bewusste Entscheidung sein, er muss diese Gedanken (oder gar das Erkennen der Beobachtung) gar nicht aktiv machen. Und das Problem des Beobachters wird immer sein, dass er das ganze nicht einfach Wiederholen kann. Es gibt auch keinen parallelen Vergleichstest. Man greift in das Sein eines Menschen ein und man hat keine Moeglichkeit zu sagen, ob das Beobachtete nun auch so passiert waere, wenn man es nicht aktiv beobachtet haette, oder ob sich die Person in der einen oder anderen Richtung verstellt. Es gibt ja auch genuegend wissenschaftliche Studien und Experimente, die genau etwas aehnliches belegen: Sagt man einem Lehrer (oder gar einem Schueler), dass wissenscahftliche Tests ergeben haben, dass der Schueler (er selbst) besonders gut oder schlecht ist, dann hat das eben einen grossen Einfluss auf das Handeln und Wahrnehmen der Person. Die Frage, die sich mir stellt ist: Wann wird das reine Beobachten oder Projizieren von Erwartungen zum Problem? Tu ich dem jeweiligen Menschen damit Gewalt an, weil ich ihn bewusst oder unbewusst, damit beeinflusse? Oder ist das alles nur zu seinem Besten? Ich denke, ich muss unbedingt noch einige zusaetzliche Psychologie- und Soziologie- Vorlesungen besuchen, um hier etwas mehr Input zu bekommen. Und um das nochmal klar zu sagen: Ich bin nicht gegen Beobachtungen, ich denke nur, dass wir zwei Dinge beachten sollten. Erstens greifen wir damit in das Sein und Werden eines anderen Menschen ein. Zweitens muss das Ergebnis kritisch hinterfragt werden. Anmerkung: Der Ausloeser fuer die Gedanken ist, wie koennte es anders sein, eine Ueberwachungsgeschichte. Es hatte seinen Grund, warum ich hie rnicht darauf eingegangen bin, sondern alles in eine andere Richtung gelenkt habe, aber trotzdem sei auf folgendes Zitat hingewiesen: Stephan Humer (Soziologe): > "Wer das Gefuehl hat, ueberwacht zu werden, wird sein > Verhalten haeufig normieren."