From: krt@nurfuerspam.de Organization: Date: Wed, 18 May 2011 17:56:26 +0200 Category: Message-ID: <20110518155626.by4JZT@silberbruch> Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Datenschutzethik - eine paedagogische Aufgabe Prolog Das Web 2.0 funktioniert nur deswegen, weil Menschen ihre Daten preisgeben. Social Bookmarking beispielsweise waere nicht denkbar, wenn Menschen nicht allen mitteilen wuerden, welche Seiten sie besucht haben. Web-2.0-Nutzer muessen Grenzen fuer sich ziehen: Welche Daten gebe ich noch preis, welche nicht mehr? Und: Welche Daten gebe ich von anderen preis? Boris Kraut ist ein Student an der PH Karlsruhe, der sich intensiv um Datenschutz Gedanken macht und dabei weniger von der rechtlichen, sondern mehr von der ethischen und paedagogischen Seite ausgeht. Ich finde es schoen, dass er sich bereit erklaert hat, hier einen Gastbeitrag zu schreiben. Buehne frei für Boris! Gesetze werden uns nicht retten Die meisten werden schon mal Erfahrungen mit juristischen Texten gemacht haben: Das Schreiben vom Anwalt, der einem erst erklaeren muss, dass man gerade vor Gericht gewonnen hat, seitenlange Be- lehrungen beim Antritt einer Stelle oder sich fest auf Paragraphen stuetzende Begruendungen, warum ein "Fehlverhalten" nun so oder so zu sanktionieren sei. Das Problem dabei ist nicht, dass man in der Juristerei wie in jeder Wissenschaft eine eigene Fachsprache hat, nein, das Problem liegt deutlich tiefer. Es wird der Versuch unternommen Regeln und Folgen in eine sprachliche Form zu bringen, die nur eine Interpretation zulaesst. Dabei wird die Sprache mit Konstrukten ueberladen, die ihr jegliche Natuerlichkeit nehmen. Diese Bemuehungen sind aus zweierlei Sicht nicht zielfuehrend: Zum einen ist Sprache, wie es Hans Magnus Enzensberger formulierte, das "einzige Medium, indem Demokratie schon immer geherrscht hat" -- und damit meine ich nicht nur die Rechtschreibung, sondern insbesondere die Interpretation und Konnotation: Die Deutungshoheit von Worten liegt ganz allein bei uns und ist bedingt durch unseren ganz eigenen Erfahrungs- und Gedankenkreis. Bezogen auf unser Problem bedeutet das, dass es -- ueberspitzt gesagt -- Willkuer oder zumindest Auslegungssache ist, wie ein Richter entscheiden wird. Nicht ohne Grund sagt der Volksmund, dass man bei einer Frage an drei Juristen mehr als fuenf Antworten erhaelt. Wenn nun selbst Fachleute sich nicht ueber die Bedeutung einig sind, dann ist es -- und damit komme ich zum zweiten Punkt -- nur zu verstaendlich, wenn auch der Laie, also die Allgemeinheit, damit ueberfordert ist. Und gerade hier waere doch Verstaendnis und Klarheit so wichtig, denn die Regeln und Gesetze sind ja kein Selbstzweck, sondern sollen ein alltaegliches friedliches Zusammen- leben sichern. Aber wer kennt schon alle Gesetze und handelt danach? Wohl niemand. Viel eher scheint es einen ethisch-moralischen Grundkanon zu geben, nach dessen Werten man sich verhaelt. Dieser Kanon mag bei jedem anders ausgepraegt sein und immer nur in der konkreten, subjektiven Situation Anwendung finden, doch gluecklicherweise scheint die Vorstellung, dass es Gesetze nicht ohne Grund gibt und man sich wohl besser danach richten bzw. orientieren sollte, bei den meisten zu diesem "Koffer der Gemeinsamkeiten" zu gehoeren. Ich moechte damit nicht sagen, dass Gesetze unnoetig sind oder gar den Rechtsstaat in Abrede stellen. Nein, ich moechte nur darauf hinweisen, dass wir alle im alltaeglichen Leben weit weniger auf Gesetze und deren Interpretation wert legen, als auf unsere -- durchaus von Gesetzen beeinflusste -- Vorstellungen von Ethik, Moral und Gerechtigkeit. Gesetze werden uns nicht retten. Datenschutzethik vs. Datenschutzrecht Auch wenn der Datenschutz gerade in Deutschland noch einen sehr hohen Stellenwert besitzt, der sich auch in entsprechenden Gesetzen nieder- schlaegt, so wird gerade auf mit Hinblick auf die Globalisierung und dem damit verbundenem Zustaendigkeitsgerangel, welche lokalen Rechts- normen Geltung haben, deutlich, dass hier noch viel zu tun ist. Doch wie oben ausgefuehrt sind Gesetze nicht das, worauf es wirklich ankommt. Was im Alltag der Menschen zaehlt ist deren subjektive Einschaetzung. Wenn man es also schaffen koennte, dass jeder einzelne Mensch seine ethisch-moralischen Vorstellungen um den Datenschutzaspekt erweitert, dann wuerde davon das gesamte Anliegen deutlich mehr profitieren als von neuen Gesetzen. Diese zusaetzliche Dimension nenne ich im Gegensatz zu datenschutzrechtlichen Bestimmungen Datenschutzethik. Wuerde sich dieses neue Bewusstsein durchsetzen, koennte das nicht nur Auswirkungen auf den privaten Bereich haben, sondern auch groessere Unternehmen umkrempeln. Denn auch wenn man -- mit guten Gruenden -- versuchen kann Privates und Berufliches zu trennen, so wird man doch staerker fuer das Thema sensibilisiert, schlaegt im Zweifelsfall mal eher im Gesetzestext nach oder kommuniziert seine Bedenken. Im Gegenzug koennte aber eine unkritische, bedenkenlose, generelle und prinzipielle Oeffnung privater Daten, wie sie Vertreter der Post- Privacy-Theorien fordern, sofern sie zur ethischen Handlungsgrundlage der Menschen wird, viel verheerendere Auswirkungen haben, als wenn jemand lediglich mit der oeffnung seiner eigenen Daten unvorsichtig ist. Dem gilt es entgegenzuwirken. Ein weiterer positiver Aspekt der Datenschutzethik ist eine gewisse Leichtigkeit, mit der man auf potenzielle Missstaende hinweisen kann. Als Nichtjurist moechte man ungern Dinge ansprechen, die man zwar nicht richtig findet, aber deren komplexe rechtliche Lage man nicht versteht. Man will -- und kann -- dem anderen keinen Vorwurf machen, er wuerde gegen das Gesetz verstossen, wenn man selbst kein tieferes fachliches Wissen von der Materie hat. Mit der Datenschutzethik laesst sich nun aber ein gewisses Unbehagen formulieren, ohne dass sich jemand ertappt fuehlen muss: "Hier passiert etwas mit meinen Daten, das ich nicht richtig finde. Vielleicht ist es rechtlich kein Problem, aber lass uns mal darueber reden, wie wir die Situation fuer beide Seiten verbessern koennen." Allerdings darf eine starke Datenschutzethik nicht dazu fuehren, datenschutzrechtliche Bemuehungen brachliegen zu lassen, denn auch hier besteht massiver Handlungsbedarf. Aber wenn wir wirklich etwas an der Situation verbessern wollen, dann muss man bei den einzelnen Menschen selbst ansetzen. Datenschutz in der Lehrerbildung Die logische Konsequenz ist, dass man solche datenschutzethischen Ueberlegungen auch in den Schulen thematisiert. Folglich muesste das dafuer noetige Handwerkszeug auch waehrend der Lehrerbildung vermittelt bzw. erlernt werden. Doch meine bisherigen Erfahrungen sowohl in der Fort- und Weiterbildung von Lehrern als auch in meinem eigenen Studium an einer Paedagogischen Hochschule sind eher negativ: Weder Studierende noch Dozenten verhalten sich bei personenbezogenen Daten -- seien es die eigenen oder fremde -- besonders kritisch. Oftmals werden Klausurergebnisse in grossem Kreis veroeffentlicht oder werden Anwesenheitslisten mit Matrikelnummer und Klarnamen gefuehrt. Widerstand seitens der Studenten gibt es nur vereinzelt. Warum auch? Die meisten wurden schon so weit sozialisiert, dass sie das alles ganz normal finden. Man laesst ja auch die Kommilitonen mal die eigenen Noten nachschauen, weil man nicht extra an die Uni oder PH fahren moechte, oder vertreibt sich die Pausen im Computer- raum in sozialen Netzwerken. Bei Nachfragen wird man oft verwundert angeschaut, denn die meisten wuerden das unliebsame Thema Datenschutz doch lieber an die Informatik-Hochburgen abschieben. Doch Datenschutz ist -- wie oben erwaehnt -- kein primaer rechtliches Problem und genau so ist es kein primaer technisches Problem. Bei Datenschutz geht es um Persoenlichkeit, um Menschen und deren Interaktion miteinander. Und wenn die zukuenftigen Lehrer es nicht lernen, kritisch mit diesem Thema umzugehen, dann werden sie diese Verhalten auch an Generationen von Schuelern weitergeben. Das in dieser Sache Handlungsbedarf besteht, hat auch die neue gruen-rote Koalition in Baden-Wuerttemberg erkannt. In deren Koalitionsvertrag "Der Wechsel beginnt" heisst es beispielsweise (Seite 68): > Datenschutz ist auch eine Bildungsaufgabe. Regelungen zur > Vermittlung von Datenschutzbewusstsein muessen deshalb nicht > nur in den Datenschutzgesetzen, sondern auch in den Lehrplaenen > von Bildungseinrichtungen verankert werden. Einige Seiten spaeter heisst es dort weiterhin (Seite 78): > Deswegen muss Medienpaedagogik als Querschnittsaufgabe auch > bei der anstehenden Neustrukturierung der Lehramtsausbildung > -- ebenso wie in den verschiedenen paedagogischen Studiengaengen > und Ausbildungen -- durchgaengig und verbindlich beruecksichtigt > werden. Zur Medienkompetenz gehoert die Vermittlung von > Datenschutz und Verbraucherschutz, insbesondere in sozialen > Netzwerken. Dass Datenschutz bzw. die -ethik also durch etwas mit Paedagogik zu tun hat erkennt man nicht nur an dem Wort "Medienpädagogik", sondern auch, wenn man sich über die eigentliche Ziele klar wird. Es geht nicht darum, die digitalen Medien zu verteufeln, es geht auch nicht darum jemanden Vorschriften zu machen, wie er mit seinen oder fremden Daten umzugehen hat, ob er soziale Netzwerke nutzen darf oder nicht. Es geht viel mehr darum, dass Schueler und Studenten lernen, kritisch zu hinterfragen (Wem vertraue ich? Technik? Menschen? Aus welchen Motiven wird gehandelt? Wer traegt die Kosten? Wem nutzt es?), Informationen zu sammeln und auszuwerten und auf Grundlage dessen selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen, Entscheidungen die sie selbst betreffen, die andere betreffen, die das gemeinsame Zusammenleben betreffen. Es geht um Muendigkeit, nichts weniger. Muendigkeit. Epilog Auch wenn dieser Text keinerlei wissenschaftlichen Anspruch hat, nur die mehr oder weniger ausformulierte Meinung eines einzelnen Studenten ist, hoffe ich doch den ein oder anderen Gedanken angeregt zu haben. Ich bin natuerlich ueber Kommentare dankbar, vielleicht kennt ja jemand einen guten Artikel oder gar Buch zu dem Thema? Denn leider scheint es da noch sehr wenig zu geben. Die meisten Schriften kommen aus Laendern, in denen der Datenschutz traditionell einen geringeren Stellenwert hat und sich daher seine ethische Betrachtung und Einschaetzung auch fundamental unterscheidet. Das aus dem deutschen Raum stammende "Gewissensbisse" behandelt generell ethische Fragen an die Informatik, verpasst aber die Gelegenheit wirklich tiefere paedagogische und auch didaktische Einblicke zu liefern. [1] http://cspannagel.wordpress.com/2011/05/18/datenschutzethik-eine-padagogische-aufgabe/