From: krt@nurfuerspam.de Organization: Date: Sun, 05 Jun 2011 20:57:31 +0200 Category: Message-ID: <20110605185731.oXDb1c@silberbruch> Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Ueber Ehrlichkeit, Harmoniestreben und den Umgang mit Kritik Die Gesellschaft krankt. Sie krankt an einer Eigenschaft, die harmloser nicht sein kann, die sogar einst positiv war, doch nun zum fundamentalen Problem pervertierte: Harmoniestreben. Aus dem Harmonistreben entstand die unbestritten wichtige und positive Faehigkeit, Kompromisse zu schliessen, und auch die Toleranz ist grundsaetzlich von grossem Wert. Doch falsch ver- standene Toleranz haben zu einem Zustand gefuehrt, dass man nicht nur "falsche" Dinge hinnimmt, sondern gar seine eigene Sicht verschweigt. Diese Unfaehigkeit, seine eigene Meinung zu aeussern, sei es aus Ruecksicht auf andere, sei es weil man einen eigenen Nachteil befuerchtet, fuehrt zu einer Kultur des Konformismus, einer vordergruendigen Angepasstheit. Doch die Gesellschaft braucht die kritische Auseinandersetzung mir promblematischen Themen, nur so kann man sich dem "Wahren" annaehern. Und waehrend die Angepasstheit des Einzelnen oder gar der Masse noch kein unloesbares Problem darstellt, so hat diese Haltung doch bei den wenigen unbestritenen, der "Elite", zu einer Arroganz der Macht gefuehrt: Sie glauben, dass sie die "Wahrheit" kennen, das "Richtige" tun, weil sie bisher nie in Frage gestellt wurden. Dies foerdert eine Unfaehigkeit, die es ihnen nicht ermoeglicht, mit Kritik umzugehen und auf entsprechende Fragen nicht oder strafend zu reagieren -- letzteres bekraeftigt die Masse in ihrem Glauben, lieber nichts zu sagen, nicht zu widersprechen. Interessanterweise funktioniert die Unterdrueckung der eigenen Meinung nicht wirklich gut. Wir brauchen ein Ventil, um uns den Frust von der Seele zu reden: Studenten tuscheln eher mit den Komilitonen, als den Dozent anzusprechen; man erfindet lieber vor dem Aussenseiter Ausreden, und sagt seine Meinung nur innerhalb der Clique -- verstaendlicherweise, denn man ist ja auf Harmonie aus, sucht also nach Bestaetigung, die man eher von Gleichgesinnten erhaelt. Was hier jedoch stattfindet macht die Lage jedoch nur noch fataler. Denn das Problem wird nicht mehr da angesprochen, wo es auftritt, wo es zwar weh tut, aber wo es loesbar ist, sondern es wird verlagert zu einem Punkt, wo es eben nicht loesbar ist. Dort geht es allerdings auch gar nicht mehr um die Loesung oder die kritische Auseinandersetzung, es geht dann nur noch darum Bestaetigung zu erhalten, geliebt zu werden, Harmonie. Auch wenn vieles hier auf ein hierarchisches System gemuenzt ist (Studium, Arbeit), so sei abschliessend darauf hingewiesen, dass das ganze natuerlich prinzipiell auch im privaten, oder generell wenn zwei Menschen aufeinander treffen, beobachtbar ist. Die Faehigkeit ehrlich zu sich und zu anderen -- gerade denen, die eventuell Kritik traefe -- zu sein, fehlt einem Grossteil der Gesellschaft (mich eingeschlossen). Ebenso ist auch das Zuhoeren, das Akzeptieren von anderen Meinungen, nicht wirklich verbreitet.