From: Boris Kraut Organization: Date: Thu, 04 Aug 2011 18:47:18 +0200 Category: Message-ID: <20110804164718.N8ycHK@silberbruch> Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Arbeitslosigkeit Eines vorweg: Ich werde diesem Thema hier nicht gerecht werden, aber an- und aufgeregt durch ein paar Berichte, muss ich hier doch mal ein paar Takte sagen, meien grosse Hoffnung formulieren: Ich kann nicht verstehen, dass jemand "arbeitslos" ist, denn es gibt immer etwas zu tun. Das soll keine Arbeitslosenschelte sein, sondern ist meinem mal ganz abseits des "Marktes" gedachten Arbeitsbegriff geschuldet: Es gibt sowohl auf gesellschaftlicher als auch privater Ebene genuegend Betaetigungsfelder und -- das muss ganz deutlich gesagt werden -- ich habe bisher kaum Arbeitslose erlebt, die nicht in einem dieser Felder ganz aussergewoehnliche "Leistungen" erbringen koennen. Ich glaube nicht, dass wir es uns "leisten" koennen, auf dieses Potential zu verzichten. Meine grosszuegig gesetzten Anfuehrungsstrichchen lassen es schon erahnen, dass ich mit einigen Worten hier nicht ganz zufrieden bin, weil ich sie mit anderen Bedeutungen belegt habe oder den Kontext, den sie mitziehen, gaenzlich falsch ist. Es ergeben sich u.a. zwei Fragen, auf die es bisher eine einzige Antwort gab: Geld. Die beiden Fragen drehen sich um den "Lohn", bestehend aus (1) dem Auskommen, also den finanziellen Mittel, die zur Deckung des taeg- lichen (materiellen?) Bedarfs dienen, und aus (2) der Motivation, also einem Bonus fuer gute Leistung oder als Anreiz fuer eine schwere und/oder unbeliebte Arbeit. Natuerlich ist auch der erste Punkt eine Art Motivation, denn das Auskommen fuer Familie und sich selbst muss gesichert sein. Ung genau hier ist der Knackpunkt, denn bei einem Grossteil der "Jobs" ist die Entlohung so, dass sie eben nur fuer diesen ersten Teil reicht, teilweise nicht einmal dafuer. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Arbeitslose wie Arbeitsnehmer "unmotiviert" sind, wenn sie nicht mal diese erste Stufe des Auskommens erreichen koennen -- geschweige denn die zweite Stufe der Motivation. Es ergeben sich also zwei Forderungen: 1) Das Auskommen muss gesichert sein. 2) Die Motivation zu arbeiten muss gesteigert werden. Waehrend ersteres ueber menschenwuerdige Sozialleistungen -- wobei ich zum Thema menschenwuerdig so meine ganz eigenen Gedanken habe, die wohl Politiker jeglicher Couleur fragwuerdig erscheinen moegen; dazu aber ein anderes Mal (oder in Ansaetzen in meinen ganz fruehen Artikeln) mehr -- oder ueber den Mindestlohn oder oder oder erreicht werden koennte, moechte ich noch kurz auf dem zweiten Teil eingehen, denn ersteres muss von Fachleuten durchgerechnet werden. Ich kann nur ein moegliches Ziel formulieren, aber ob das gewuenscht ist oder wie man gar dorthin kommt, also wenn es um konkreten Loesungen geht, bin auch ich leider ueberfragt -- wobei ich mir anmasse zu sagen, dass die momentane Lage so problematisch ist, dass wir beginnen muessen zu handeln, dass wir nicht mehr auf Berechnungen oder die Idealloesung (so es sie denn gibt) warten koennen, dass wir das undenkbare Idealistische einfach mal probieren sollten: "Trial and Error" mit einem "Intelligent Guess" als Loesungsstrategie ist erstaunlich effizient und fuehrt oft zu einem brauchbaren Ergebnis, insbesondere fuehrt es irgendwo hin und ist kein Stillstand. Nun, beim Thema Motivation muessen wir uns von einer rein finanziellen Loesung wohl verabschieden. Weder ist dies zu finanzieren noch ist es gewuenscht -- vielleicht ist es aber gewuenscht, dann waere genau das der Fehler! -- denn es fuehrt zu einem sehr materiellen Lohnbegriff, von dem wir uns ebenfalls verabschieden sollten [Anm.: Hier ist der Punkt wo man in einem Folgeartikel mal Konsum und geplante Obsoleszenz naeher beleuchten muesste.]. Wohin wir eigentlich kommen muessen ist eine Mentalitaet, dass man nicht mehr arbeiten geht, einen austausch- baren Job macht, um dafuer Geld zu bekommen, sondern dass man der Arbeit eingen gewissen Selbstwert beimisst. Im Idealfall sollte jeder Mensch seiner Berufung folgen, also einen "Beruf" ausueben, bei dem er sich selbst verwirklichen kann, indem er aufgeht und wo er Freude bei der Arbeit hat; dies wird nicht gehen ohne eine umfassende Neu- definition des Arbeitsbegriffes, aber auch in Arbeiten, die bisher als irrelevant/nicht entlohnenswuerdig angesehen wird, kann der Fort- schritt der Gesellschaft, ja der ganzen Menscheheit begruendet liegen. Natuerlich ist der Idealfall noch nicht eingetreten. Solange wir noch nicht alle noetigen, aber unbeliebten Aufgaben an Technik ausgelagert haben, wird es zwangslaeufig Arbeiten geben, bei denen die Motivation ueber mehrere Ecken erfolgt. Man arbeitet also, weil man sieht, dass es notwendig ist -- fuer einen selbst, wie auch fuer die Gesellschaft. Gerade hier muss dann nicht eine soziale Aechtung, sondern eher eine soziale Aufwertung, Anerkennung stattfinden! Jetzt habe ich noch ein Thema angeschnitten, dass ebenfalls eigentlich eines eigenen Artikels bedarf: Ersetzung der menschlichen Arbeitskraft durch Maschinen. Ich versuche mich hier kurz zu fassen: - Menschliche und maschinelle Arbeit ist nicht verlustfrei wandelbar, beide haben ihre Staerken und Schwaechen. Arbeiten, die nur von Maschinen gemacht werden kann, sollte man sehr genau pruefen. Genau so sollte man ein wachsames Auge darauf haben, ob eine Maschine wirklich alle Teilaspekte der zu ersetzenden menschlichen Arbeits- kraft besitzt. Es gibt Arbeit, die nicht ersetzbar ist. - Eine absolute Abhaengigkeit von Maschinen ist nicht erstrebenswert, wobei es Situation gibt, wo diese nicht vermeidbar ist. Menschen sollten prinzipiell in der Lage sein, sich selbst zu erhalten -- wenn auch mit massivem Abstrichen in der Lebensqualitaet. - Ersetzen von menschlicher Arbeit durch Maschinen darf nicht zu einer Abwertung des Menschen fuehren. Die Frage muss also sein, wie fuehren wir den Menschen einer menschenwuerdigen Arbeit zu? Dabei ist (fast; siehe oben) jede Arbeit, die eine Maschine erledigen kann, menschen- unwuerdig. Menschen werden fuer hoehere Taetigkeiten gebraucht. Die frei werdende "Arbeitszeit" sollte man also dafuer nutzen hoehere Taetigkeiten entspannter anzugehen. Ich koennte jetzt noch Ewigkeiten weiter schreiben, aber fuer heute soll das genug sein. Ich weiss, dass vieles hier weltfremd klingen mag, es wahrscheinlich sogar ist, aber die meisten Gedanken sind aus der Ueberzeugung entstanden, dass es so nicht weitergehen kann, also aus der Notwendigkeit einer Veraenderung. Diese Notwendigkeit treibt einen in Gedanken, die man so noch nicht gedacht hat. Sie machen mir Angst, nicht nur weil sie neu sind, sondern weil sie gefaehrlich sind und das Bisherige fundamental in Frage stellen.