From: Boris Kraut Organization: Date: Mon, 26 Sep 2011 18:50:59 +0200 Category: Message-ID: <20110926165059.QKbGVk@silberbruch> Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Wir sind Papst: Zurueck in der Heimat Nun war er da, der Papst, wie haben sich alle im Vorfeld aufgeregt und am Ende war es doch nicht so schlimm, 0der? Ich denke, dass Kritik zwar mehr als berechtigt ist, aber dass die von Kritikern vorgebrachten Punkte nicht wirklich trafen. Zu erst die Funktion des Papstes, viele waren der Meinung, er solle doch lieber als Staatsoberhaupt des Vatikan sprechen und einige der Politiker sahen das als Ausweg aus unbequemen Fragen an. Doch weder sah der Papst sich als solcher... > Aber die Einladung zu dieser Rede gilt mir als Papst, als > Bischof von Rom, der die oberste Verantwortung fuer die > katholische Christenheit traegt. ...noch waere es gerechtfertigt gewesen dem Oberhaupt eines solchen Zwergstaates, der politisch (als Staat) defacto keine Bedeutung hat und dazu noch als absolute Monarchie gefuehrt wird -- was geradezu ein Affront gegenueber jeder Demokratie ist. Mit dem gleichen Anspruch koennten auch andere Kleinststaaten und Staaten mit fragwuerdigen Verfassungen auf die Idee kommen, mal den Bundestag fuer etwas Propaganda zu mieten. Mieten? Pardon, das ist ein Fehler meinerseits. Denn natuerlich wurde hier nichts gemietet, der Papst war eingeladen und so wurde der Besuch natuerlich zum Teil durch den Steuerzahler finanziert. Auch wenn das ein weniger bekannter Kritikpunkt ist, muss auch hier differenziert werden. In der offiziellen Haltung ist es ein Staats- besuch, siehe [1], von daher verwundert es nicht, wenn hier auch staatliche Gelder verwendet werden -- auch wenn ich selbst sowohl diese Interpretation wie auch die draus folgende Geldverschwendung fuer falsch halte. Aber selbst wenn es sich nicht um einen Staatsbesuch handelt, waere die Teilfinanzierung durchaus gerechtfertigt. Wir duerfen naemlich nicht vergessen, dass "wir" den Papst eingeladen haben, was zwei Fragen aufwirft: Wer hat eingeladen? Darf man einen religioesen Fuehrer im Bundestag sprechen lassen? Zu letzterem ist zu sagen, dass ich dem Bundestag zugestehe, jeden erdenklichen Input zu holen, der hilft die Geschicke des Landes in die richtige Richtung zu lenken. Dazu kann durchaus etwas ethisch- moralische Nachhilfe gehoeren, ob das nun in Form von religioesem Blendwerk geschehen muss, wage ich zu bezweifeln; insbesondere ist hier gerade bei der katholischen Kirche doch die Frage nach der so genannten moralischen Integritaet und Authoritaet zustellen. Zudem gibt es fuer eine solche "Weiterbildung" durchaus besser geeignetere Varainten. Eine Rede im Bundestag ist -- gerade wenn sie nicht mit einer Diskussion mit einem kritischen Dialog verbunden ist [9] -- viel mehr eine Ehre fuer den Redner als Ermahnung der Parlamentarier. Eine solche Ehrung ist fuer Kirchen nicht angebracht; man hat anderen Religionsfuehrern das voellig zurecht verwehrt, weil dies mit "der Trennung von Staat und Kirche unvereinbar" [2] ist. Die Gruenen denken sich 'wenn schon Verblendung, dann aber gleich- berechtigt' und fordern, den Dalai Lama einzuladen. Der mag zwar wie der Papst bei dem einen oder anderen zu einer nicht unbedingt schlechten Erleuchtung fuehren, aber das aendert nichts am o.g. Trennungsgebot. Realpolitiker wuerden dazu noch einwerfen, dass das nicht den Geschicken des Landes (s.o.) dient und unterwuerfig nach China schielen, waehrend die Fundis auf die so christliche Praegung Deutschlands hinweisen wuerden. Aber bevor ich mich hier in dem Sumpf aus haette/wollte/koennte verliere, will ich den Blick lieber auf die ersterer der beiden Fragen richten. Wer hat den hier wen eingeladen? Laut der Web- site des Bundestags [1] war der Papst... > ...von Bundestagspraesident Prof. Dr. Lammert mit Zustimmung > aller Fraktionen eingeladen worden. Nun, das ist ja interessant. Es suggeriert, dass der Bundestag das so gewollt haette, doch der hat dort nichts zu entscheiden. Auf der Website des Bundestags heisst es dazu [4]: > Darueber [Rederecht fuer Abgeordnete usw.] hinaus hat der > Bundestag keine Rechtsgrundlage, Nichtparlamentariern [das] > Rederecht zu gewaehren. Die Gastredner werden vom Bundestagspraesidenten eingeladen, was er mit dem Aeltestebrat abstimmt (oder diesem zumindest mitteilt), so auch hier [6]: > Bereits im Jahr 2006 hat Bundestagspraesident Norbert > Lammert Papst Benedikt XVI. zu einer Rede im Deutschen > Bundestag eingeladen. [...] Diese Einladung hat Lammert > vor kuerzlich wiederholt; er hat dafuer die Zustimmung > des Aeltestenrats des Bundestags gefunden; die Fraktions- > fuehrungen aller im Bundestag vertretenen Parteien haben > dieser Einladung nicht widersprochen: Der Papst kommt > also auf Einladung des deutschen Parlaments in das Hohe > Haus! Zwar ist der Bundestagspraesident von den Abgeordneten gewaehlt und damit auch -- ueber mehrere Stufen -- vom Volk legitimiert, zwar wurden auch die Fraktionsfuehrer darueber informiert, aber daraus ergibt sich jetzt fuer mein Verstaendnis keine besonders hohe Akzeptanz. Insbesondere wenn ein Mitglied im Aeltestenrat dem widerspricht [7]: > Einwaende kamen von den Gruenen. Der parlamentarische > Fraktionsgeschaeftsfuehrer der Gruenen, Volker Beck, > sagte, es gebe in der Frage "kein Einvernehmen" mit > seiner Fraktion. Beck ist laut [8] Mitglied im Aeltestenrat, in wie fern das "nicht widersprochen" mit "kein Einvernehmen" zusammenpasst, ist diffus. Vermutlich war man "nicht dafuer", aber auf der anderen Seite auch "nicht dagegen" -- fuer weitere Aussagen zu dem Thema muesste ich mich tiefer in die Geschaeftsordnung und den Aeltestenrat einlesen, wozu ich derzeit keine wirkliche Lust habe. Inhaltlich finde ich zumindest das grobe Thema der Rede -- den Voll- text gibt es auf [5] -- angebracht. Kritiker fanden sie flach und fuer die Bevoelkerung unverstaendlich. Ein Wort zu den Opfern der Kirche -- bspw. die Missbrauchsfaelle -- waere ihrer Meinung nach angebracht gewesen. Fuer letzteres braucht der Papst nicht den Bundestag. Fuer inner- kirchliche Weichenstellungen und Bekenntnisse reicht -- so wichtig sie auch sind -- sein kleines Reich in Rom oder gar eine Presse- mitteilung. Inhaltlich musste es um Politik, um Deutschland und verbindend um deutsche Politik(er). Damit faellt auch die Kritik der sprachlichen Unverstaendlichkeit weg, da die Rede nicht an "das dumme Volk" gerichtet war, sondern an Politiker, die meist einen hohen Bildungsabschluss haben oder zumindest kein Problem mit der Verstaendlichkeit von schwereren Texten, wie Gesetze und Gutachten es zuweilen sind, haben sollten -- mal ganz abgesehen davon, dass es bis auf ein, zwei Stellen jetzt nichts gross zu verstehen gab. Denn zwar war die Rede alles andere als flach, aber wirklich fundamental Neues wurde nicht gesagt. Da gibt es deutlich bessere Werke zu den Themengebieten. Aber was hat er nun gesagt? Nun, es gibt sicherlich bessere und vollstaendigere Zusammenfassungen, aber prinzipiell ging er von der Frage aus, wie Politiker ihr Handeln begruenden sollten, kam dann ueber den Unterschied zwischen recht, gerecht und richtig zur Vernunft und warum die positivistische (beweisbar, belegbar, nachweisbar, ...) Vernunft nicht alles ist. Zur Vernunft gesellt sich dann auch noch der Naturbegriff im philosophischen Kontext und auch im oekologischen -- das freut die Gruenen. Am Ende gibts noch ein Loeffelchen Menschenrechte und Voelker- bzw. Glaubens- verstaendigung und fertig war der Lack. Alles in allem kein grosser Aufreger, selbst ich fand vieles sinnig und vermute dass der Papst hier wohlweislich nicht eine seiner Fundireden ausgepackt hat; den Gefallen tut er den Gegnern nicht. Was ich an inhaltlicher Kritik anzubringen habe ist, dass wir uns ja durchaus bewusst sind, dass die positivistische Vernunft nicht alles erklaeren, zu manchen Fragen keine Anworten liefern kann. Deshalb haben wir -- teils aus der Vernunft abgeleitet, teils in sich selbst beruhend -- das ethische Denken an ihre Seite gestellt und uns selbst daraus resultierende moralische Regeln auferlegt, welche mit den meisten religioesen Werten eine erstaunlich grosse Schnittmenge bilden.. So erstaunlich ist das aber dann doch nicht, denn die meisten religioesen Texte beantworten genau die selben Fragen. Es geht darum, oher wir kommen, wie wir uns (z.B. in der Gesellschaft) verhalten sollen, wohin wir streben sollen und was am Ende uebrigbleibt. Doch vieles, was man in der Vergangenheit nicht wusste, mit Platzhaltern schmueckte, das kann man heute mit Vernunft und Wissenschaft deutlich besser an die Wahrheit an- naehern. Und genau hier ist der Grund warum wir Religion nicht brauchen: Auch wenn wir sehr aehnliche Werte haben, sind diese bei uns im Menschen und oder der Vernunft verankert. Sie muessen sich immer und jeder Zeit der Kritik stellen und veraendern sich. Religion dagegen beheimatet den Dogmatismus, sie schickt sich an ultimative, nicht revidierbare Wahrheit zu sein, eugnet die durch Vernunft gewonnene Erkenntnisse, moechte gern der Herr ueber Wahrheit und Vernunft sein, wo Ethik und Moral sich als Partner begnuegen: > Ist es wirklich sinnlos zu bedenken, ob die objektive Vernunft, > die sich in der Natur zeigt, nicht eine schoepferische Vernunft, > einen Creator Spiritus voraussetzt? Religion ist engstirnig und gefaehrlich. Alles was sie uns bieten will, das haben wir schon.. in der Version 2.0. Gut, hier war ich unfair. Denn auch ohne Religion gibt es noch Platz fuer Glauben. Ich selbst bin glaeubig, aber mein Glaube kann sich als falsch herausstellen, kann vielleicht irgendwann widerlegt werden und duldet andere Auffassungen. Nur schmilzt der fuer den Glauben vorgesehene Bereich zunehmens und das macht den Kirchen Angst: Die "Wahrheit" habt ihr schon verloren, je mehr ihr euch anstrengt diese zu behalten oder wieder zu erlangen, desto offensichtlicher werden eure Luegen. Findet euch damit ab, trollt euch in die Nische des Glaubens, in der ihr ebenfalls kein Monopol mehr habt. Uff, jetzt bin ich doch noch in die Religionskritik verfallen, die ich eigentlich gesondert behandeln wollte. Immerhin hab ich es ver- mieden zu sehr die katholische Kirche in ihrer speziellen Eigen- art und das Papstum zu bashen -- denn das ist ein wichtiges, aber von der Frage Religion und Staat losgeloestes Thema. Uebrigens: Die im Vorfeld angekuendigkte Auffuellung von leeren Stuehlen scheint nicht so geklappt zu haben, wenn ich mir die Aufzeichnung der Rede so anschaue... [1] http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2011/35768399_kw38_benedikt/index.jsp [2] http://www.tagesschau.de/inland/papstbundestag100.html [3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,787999,00.html [4] http://www.bundestag.de/kulturundgeschichte/geschichte/gastredner/index.html [5] http://www.bundestag.de/kulturundgeschichte/geschichte/gastredner/benedict/rede.html [6] http://www.thierse.de/startseite-meldungen/startseite-meldungen/beitrag-financial-times-20092011-zum-papstbesuch/ [7] http://www.welt.de/politik/deutschland/article11673293/Papst-Benedikt-XVI-wird-im-Bundestag-reden.html [8] http://www.bundestag.de/bundestag/aeltestenrat/index.jsp [9] http://www.tagesschau.de/inland/interviewferner100.html