From: Boris Kraut Organization: Date: Sat, 12 Nov 2011 02:02:59 +0100 Category: Message-ID: <20111112010259.7_klVP@silberbruch> Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Re: Angenehmer Verzicht Manchmal ist das doch sehr seltsam, wie sich Themen und Gedanken immer vermehrt auftauchen. Erst letztens hatte ich bei einer heissen Suppe darueber philosophiert, wie sich die Bedeutungvon Fettaugen in einer Suppe doch ge- aendert hat. Denn in einer Gesellschaft, die noch nicht an Verfettung krankte und in der man nicht einfach aus Zeitvertreib, sondern um zu Kraeften zu kommen sich dem Essen hingab, waren Fettaugen mehr als nur erwuenscht. Heute, werden sie vom hippen, dem Schlankheitswahn ver- fallenen Teil gemieden, waehrend ein anderer Teil sich nen Burger fuer unterwegs einpacken laesst. Verrueckt. Meillo [1] hat vor kurzem auch ueber seine Erfahrungen mit dem Verzichten gemacht und auch ich habe seit ein paar Tagen davon unabhaengig damit begonnen, wieder ein wenig bewusster zu essen. Nicht ganz so radikal, aber zumindest meine Fruehstuecksgewohntheit ist so weit umgestellt, die restlichen zwei Mahlzeiten werden folgen -- aber keine Sorge, ich werde garantiert nicht zum Kalorienzaehler, dafuer Ess ich viel zu gern. Und genau hier liegt der Clou: Man lernt Essen wieder zu schaetzen und schmeckt es im wahrsten Sinne des Wortes viel intensiver. Was frueher selbstverstaendlich war, weil man weniger hatte -- sich gewisse Mahlzeiten fuer den Sonntag oder Feiertage aufzuheben -- das koennte heute wieder zu einer Tugend werden. Ueber Religion mag ich mich gar nicht auslassen, es geht hier darum, dem Essen an sich und den guten Speisen im besonderen wieder den Wert des Besonderen zu geben -- durch sparsamen Einsatz. Zwei Wochen Verzicht und es reicht ein Stueckchen Schokolade, um die Besonderheit zu schmecken, um ansatzweise nach- vollziehen zu koennen, was fuer eine Geste es im WWII war, wenn fremde Soldaten einem Kind einen Schokoriegel gaben. Uff, aehm.. unpassende WWII-Vergleiche, ich schweife ab und spreche noch einen zweiten Punkt an, der auch Meillo aufgefallen ist: Leider ist der Verzicht in der Ueberflussgesellschaft, in der wir leben, ein Makel. Viele koennen es nicht ver- stehen, warum man sowas wollen koennte. Und selbst wenn man nicht aktiv Unverstaendnis erntet, so ist der soziale Druck doch extrem hoch: Fruehstueck -- du sollst essen wie ein Kaiser, Staerkung fuer den Tag. Auf dem Weg zur Arbeit noch ein Kaffee-To-Go (...). Endlich 10 Uhr, ab in die Cafete, um sich nen Broetchen zu holen. So, Schlange stehen in der Mensa.. lecker Mittagsessen. Freistunde, sozialisierendes Kaffee-Trinken. Danach noch ein Broetchen fuer Zwischendurch. Referatsvorbereitung, Knabbereien dazu. Endlich Abendessen... Ja, uebertrieben dargestellt, aber ich denke teilweise erkennt man seine taeglichen Verhaltensweisen nur zu gut. Dem Essen wieder einen Wert geben. Das waere schoen. Dazu gehoeren faire Preise genauso wie das Nichtvorhandensein von Saisonware -- von 24h vollbestueckten Haendlern mal ganz zu schweigen. Nicht Hungern, aber etwas weniger, das ist immer nocht viel. Ach, und man vertankt auch Essen nicht... [1] http://marmaro.de/apov/txt/2011-10-30_angenehmer-verzicht.txt