From: Boris Kraut Organization: Date: Sat, 04 Feb 2012 14:39:32 +0100 Category: Message-ID: <20120204133932.zgybzj@silberbruch> Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Geistiges Eigentum Im total umnaechtigten Zustand und ohne Quellen zu preufen habe ich in der vergangenen Nacht folgenden Text als Nachtrag zu einem Gespraech am Vortrag zusammengeschrieben. Wer Musse in langen Texten findet, darf es gern lesen, ansonsten vorab die Kurzversion: Der Eigentumsbegriff ist bei geistigen Leistungen Fehl am Platz. Wir haben dafuer die Begriffe von diversen Schutz- und Verwertungsrechten, die dazu noch sehr unterschiedlich sind. Geistiges Eigentum ist ein Kampfbegriff, der verallgemeinert und vom eigentlichen Thema ablenkt. Wer von geistigem Eigentum redet, der spricht in der Wirklichkeit von Denkverboten. Langversion: --- da wir gestern kurz darueber geredet haben, hier nohcmal ein paar Gedanken. In Wikipedia wirst du lesen, dass es schon laenger -- auch unter Juristen -- einen Streit um den Begriff gibt und auch, dass er jedoch immer mehr in Mode kommt; das ist eine Entwicklung, die ich den Lobbygruppen der Verwertungsgesellschaften bzw. der Musik/Film/XY-Industrie anlaste und so gut es geht verlangsamen oder gar aufhalten moechte. Der Begriff des (Sach-)Eigentums ist wohl bekannt und definiert, seine Kernkomponenten greifen aber bei "Geistigem" nicht, von daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die deutsche Rechtstradition den Begriff so nicht kennt. Wir haben eine Vielzahl von Schutz- und Verwertungsrechten -- allen voran das Urheberrecht, Patentrecht, Geschmacksmusterrechte, usw. -- die aber alle nicht die geistige Leistung schuetzen, sondern die daraus resultierenden Produkte, also die konkrete Implementierung. Das ist auch der Grund warum Software-Patente so umstritten (und hier auch nicht zulaessig) sind: Mathematik, ein Algorithmus, die geistige Idee laesst sich meist relativ gut und genau in Quelltext umsetzen. Es ist dabei oftmals nicht fuer jemand mit der selben (oder einer aehnlichen) Idee moeglich, eine davon signifikant abweichende Implementierung zu finden, da die Programmiersprachen eben genauso dafuer geschaffen sind, eine verbalisierte und standardisierte Form der Idee zu sein. Kommen wir aber zum allgemeinen und verstaendlichen zurueck: Wer "geistiges Eigentum" sagt, impliziert Denkverbote! Es ist die Vorstellung, dass man Ideen schuetzen kann, dass sie niemand anders "denken" kann. Genau das ist aber nicht geschuetzt: Geschuetzt ist das konkrete Produkt aufgrundlage der Idee. Denkt jemand die selbe Idee oder wird von deinem Produkt inspiriert, dann darf er eine eigene Implementierung dieser Idee schaffen, so lange sie nicht eine Kopie deines Produkts ist. Er darf auch ausgehend von der selben Idee ganz andere Produkte schaffen. Ich hoffe du siehst nun, dass der Begriff "geistiges Eigentum" schaedlich ist und wirst in Zukunft andere Begriffe verwenden und genau so energisch einschreiten, wenn jemand "geistiges Eigentum" sagt. Aber wo wir gerade von anderen Begriffen reden (s.o.), sei noch kurz das "Immaterialgueterrecht" angesprochen. Wir leben in einer Dienstleistungsgesellschaft im Uebergang zur Informations- und Wissensgesellschaft, haben uns also zum Teil von greifbaren Produkten geloest. Ich blende 90% des Begriffes aus und will nur ein paar Takte zu Daten/Dateien sagen -- dem "Problem" der Raub- (mord)kopierer. Das ist wieder ein Kampfbegriff, der so gleich in mehrfacher Hinsicht nicht korrekt ist, denn Raub hat zwei Haupt- eigenschaften: Gewalt und Entwendung. Es ist eher selten, dass man beim Anfertigen einer Kopie Gewalt anwenden muss, von daher scheidet Raub erstmal aus und wir ersetzten es durch den Diebstahl. Auch das ist eher unpassend, denn eine Kopie ist eine Kopie, am Original aendert sich dadurch nichts, das Original wird nicht ge- stohlen -- uebrigens auch beim "Diebstahl geistigen Eigentums", denn wie du sicher weisst, kann ich eine Idee, die du hast, dir nicht wegnehmen, ich kann sie kopieren und schneller ein eigenes, entsprechendes Produkt herausbringen, aber stehlen geht nicht. Das ganze soll natuerlich nicht davon ablenken, dass wir eine grosse Anzahl von unrechtmaessigen Kopien haben. Um diese zu bekaempfen werden gerade zwei Strategien gefahren: Ausweitung der Schutzrechte (zeitlich und inhaltlich) und Ausweitung der Verfolgung (Ueberwachung und Strafe). Beides ist nicht zielfuehrend. Eine Ausweitung der Schutzrechte geht zum einen am eigentlichen Zweck, die Kuenstler und Autoren zu entlohnen vorbei -- denn die Schutzfristen gehen inwzischen weit ueber die Lebensspanne eines normalen Menschens hinaus und ob man auch den Nachfahren oder der Verwertungsindustrie hier den Lebensunterhalt sichern will, ist fraglich -- zum anderen erhoehen inhaltliche und zeitliche Ausdehnung der Fristen nur das Ausmass der moeglichen Kopien, fuehrt also zu einer Verschaerfung des Problems. Da aber gleichzeitig Strategie Nr.2 gefahren wird, scheint es insgeheim gewuenscht zu sein, das Problem zu verschaerfen, um dann mit den neuerworbenen Mitteln zur Ueberwachung und Sanktionierung Geld zu verdienen, anstatt mit dem eigentlichen Produkt. Auch das war nicht die Idee der Schutzrechte und auch nicht das, was man mit "Geschaeftsmodell umstellen" meinte. Dass die zweite Strategie an sich (und nicht nur in Verbindung mit der ersten) schaedlich ist, sollte klar sein: Sanktionen, die nicht mehr von einem Richter verhaengt werden, sind demokratiefeindlich. Ueberwachung auf Vorrat ist demokratiefeindlich. Der verzweifelte Versuch, das Erstellen von Kopien zu verbieten, bricht mit den grundlegenden Designkriterien des Internets und dessen Errungen- schaften -- freier Zugang zu Wissen und Kommunikation -- und ist damit ebenfalls demokratiefeindlich. Du fragst jetzt, wie du da noch Geld verdienen sollst? Gegenfrage, wie hast du es denn bisher getan oer vorgehabt? Es geht nicht darum, dir deine Rechte wegzunehmen, es geht darum die Ausweitung der Rechte zu verhindern -- denn das wuerde gar nicht dir zu Gute kommen und sogar auf lange Sicht weitere Innovationen auf Grund- lage deiner Ideen verhindern... nani gigantum humeris insidentes: wird sind doch alle nur "auf den Schultern von Riesen sitzende Zwerge". Aber kommen wir zurueck zum Geld: Wer wuerde dein Produkt kaufen? Ich meine was sind die Vorraussetzungen dafuer? - Gefallen am Produkt - Vorhandensein von finanziellen Mitteln - Akzeptieren des Preis/Leistungs-Verhaeltnis Es ist klar, dass jemand, der kein Gefallen am Produkt findet, dafuer nicht bereit waere Geld auszugeben. Er fuegt dir kein Schaden hinzu, es sei denn du willst die Katze im Sack verkaufen: Wenn du die Leute uebers Ohr hauen willst, dann beklag dich nicht, wenn sich die Leute das nicht gefallen lassen! Und je nach Technik tut er dir sogar etwas Gutes. Er erhoeht deinen Verbreitungsgrad und stellt dir meist -- je nach "Tauschboerse" -- ueber seinen Internetanschluss kostenlos einen Vertriebskanal zur Verfuegung. Gehen wir jetzt also davon aus, dass der Kopierer durchaus Gefallen an deinem Produkt findet, es aber schlicht nicht bezahlen kann. Dir entgeht also erstmal nicht direkt eine Einnahme, hoechstens in der Form, dass er darauf sparen koennte, um es spaeter zu kaufen. Hier ist also ein kleiner Schwund, aber je nachdem was du anbietest, muss man auch noch bedenken, dass Aktualitaet fuer manche Produkte extrem wichtig ist, es also ein spaeteren Verkauf nicht gibt, weil uninteressant. Sind aber die Vorraussetzungen so weit gegeben, dass er nicht nur ein Nutzer, sondern auch ein potentieller Kaeufer ist, bleibt die Frage, warum er dein Produkt nicht kaufen sollte. Im Preis kannst du nur schlecht gegen "kostenlos" antreten, aber zum Glueck musst du das auch nicht. Hast du dir schonmal ueberlegt, warum es soviele Leute gibt, die fuer den jetzt hochgenommenen Filehoster Megaupload gezahlt haben? Oder fuer Rapidshare? Oder fuer einen Binary-Usenet- Zugang (z.B. ueber Usenext) zahlen? Ich mein das ist doch paradox, sie geben Geld aus fuer etwas, was sie wo anders auch kostenlos bekommen koennten. Oder auch Apples iTunes.. warum kauft man da? Der Punkt ist, dass viele der "Raubmordkopierer" durchaus bereit sind Geld zu zahlen -- im Bereich der Filmkopien hat sich sogar herausgestellt, dass der Kopierer der beste Kunde ist -- wenn Produkt, Service und Preis stimmen. Dazu gehoert auch eine gewisse Transparenz, wie sich der Preis zusammensetzt. Viele sehen zwar den Wert des Produktes, aber sind nicht bereit saftige Aufschlaege fuer Vertrieb usw. zuzahlen, wenn eine Kopie im Internet nahezu zum Nulltarif moeglich ist. Erstrecht nicht, wenn man in seinen Nutzungsrechten so massivst beschnitten wird, wie es gerade bei MI/FI-Produkten ueblich ist. Sofortige Verfuegbarkeit, gute Qualitaet und ein fairer Preis -- da verkauft sich ein erst- klassiges Produkt auch im digitalen Zeitalter. Das ist der Jetzt-Stand, wie soll die Zukunft aussehen? Bisher sicher geglaubte Geschaeftsmodelle werden verschwinden, neue werden kommen. Die verschiedenen Akteure und Parteien haben davon unterschiedliche Vorstellungen, eine komplette Abschaffung der Schutz- und Verwertungs- rechte wird aber nur von sehr wenigen gefordert, auch nicht von den Piraten oder der Linken -- Einzelmeinungen mag es aber geben. Es wird gerade masivst darueber nachgedacht, wohin die Reise gehen sollte und bis auf die konservativen Gruppierungen, die den Status Quo erhalten -- con-servare [sic!] -- wollen, gibt es da recht unterschiedliche Modelle -- Kulturflatrate, Kulturwertmark, Sondersteuer, usw. --, die aber alle auf dem selben Grundgedanken fussen: Sharing is good! Das Teilen von Informationen ist von fundamentaler Bedeutung fuer die Entwicklung und den Erhalt von Kultur. Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, dass wir (einen Teil der) einmal geschaffene(n) Kulturwerke nahezu zum Nullkostenpreis weitergeben koennen. Ist das Werk einmal bezahlt, ist es fuer alle, fuer immer und ueberall bezahlt. Die Frage, die nun so kontrovers diskutiert wird, ist: Wie und wer zahlt fuer die erste Kopie bzw. das Original? Eine Antwort darauf kann ich dir momentan nicht geben; es wird wie gesagt gerade viel ausprobiert und diskutiert -- Diskussionen, an denen du dich JETZT beteiligen solltest (oder schon tust, wobei ich da nicht ganz der richtige Ansprechparnter bin), damit deine Meinung dazu gehoert und beruecksichtigt werden. [...]