From: Boris Kraut Organization: Date: Sun, 22 Apr 2012 18:36:27 +0200 Category: Message-ID: <20120422163627.gL34Wd@silberbruch> Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Naehe und professionelle Distanz Ich bin mir noch unsicher, ob Lehrer und die Dozenten in der Lehrerbildung die "neuen" Entwicklungen in der Gesellschaft einfach noch nicht erkannt haben oder aus purer Angst heraus diese ignorieren. Ist es die Angst vor dem Verlust des eigenen Autoritaets- und Wissensanspruch oder ist man aufgrund der immer wieder bekanngewordenen Uebergriffe einfach nur sehr vorischtig geworden? Es ist zugegebener Massen nicht leicht eine professionelle Distanz zu den Schuelern zu wahren, waehrend man gleichzeitig die noetige Naehe suchen muss, die fuer ein vertrauenvolles Lernklima notwendig ist. Ueber das Thema wird ja in letzter Zeit immer wieder berichtet, z.B. [0], weswegen ich da nicht wirklich naeher eingehen will. Was mich interessiert ist das Duzen/Siezen: Bekannterweise gefaellt mir das Sie nicht, weil es in letzter Konsequenz zu einem pluralis maiestatis, also der "Bezeichnung der eigenen Person im Plural als Ausdruck der Macht" [1] wird; in einer auf Gleichheit/Bruederlichkeit bauenden Gesellschaft ein Unding -- erst recht in der Schule: Lehrer, die ihre "Macht" ausleben wollen, gehoeren nicht in die Schule. Nun hat sich das uebliche Verstaendnis vom Sie ja leider sehr abgeschwaecht, sodass sich fast niemand mehr dieses Kontextes aktiv bewusst ist. Selbst ich halte mich ja abgesehen von ein paar wenigen Ausnahmen an diese neue Form des Siezen. Auch wenn ich mir hier einen gesamtgesellschaftlichen Umdenkprozess doch sehr wuenschen wuerde, erleben werde ich ihn wohl nicht, und so akzeptiere ich ihn eben meist und forder auch nicht das rueck- sichtslose Verwenden des Dus -- gerade in der Schule waere das wohl fatal, wobei es ja durchaus... > Das Duzen ist in Koeln-Holweide Teil eines paedagogischen > Gesamtkonzepts, das auf eine enge und vertrauensvolle > Beziehung zwischen Schuelern und Lehrern setzt. Seufz. Komm endlich zum Punkt, Boris! Boris? Gute Ueberleitung! Worueber ich eigentlich schreiben wollte, war die Angst vieler Lehrer vor Privatem. Wie? Die Schueler kennen deinen Vornamen? Wie kannst du nur! [...] Ja, die Schueler kennen sogar meine Hobbies und wenn sie mich im Hackerspace treffen, da werden sie mich da auch sicher nicht Siezen. Noch schlimmer, vielleicht liest der ein oder andere auch meine Texte hier und notiert sich die Zeitstempel? Herr Kraut, wie koennen sie denn in der ersten Stunde Mathe geben, wenn sie um 02:17 Uhr noch online waren? Und das bin jetzt ja nur ich, was sollen denn die ganzen Face- booknutzer unter den Lehrern sagen? Klar, sie koennen Freund- schaftsanfragen von Schuelern ignorieren -- in der Tat gibt es sogar einige, die beim Wechseln ins Referendariat ihren Account umbennen oder gar ganz loeschen -- aber glaubt ihr wirklich, das das hilft? War euer ganzes gerede von "ohne FB gehts nicht, das braucht man heute" erlogen? Wollt ihr wirklich so einen Cut machen und euren Rest nochs teifer als eure Elterngeneration verbringen? Oder meint ihr jetzt beginnt der Ernst des Lebens, ab jetzt seid ihr "erwachsen"? Ein wenig spaet, oder? [0] http://www.partner-fuer-schule.nrw.de/dev/t3/forum-schule/home/detail/article/der-schmale-grat-zwischen-naehe-und-distanz.html [1] http://de.wikipedia.org/wiki/Pluralis_Majestatis