From: Boris Kraut Organization: Date: Sun, 10 Jun 2012 10:07:40 +0200 Category: Message-ID: <20120610080740.Psqpjz@silberbruch> Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: Kontaktverwaltung Es gab eine Zeit, da habe ich Daten gesammelt -- eine "Leidenschaft" die man mir auch heute noch anmerkt. Jeder Kontakt wurde von mir fein saeuberlich in einer vCard abgespeichert, ein komplettes und wohlgepglegtes Archiv: Freunden, Bekannten, Kollegen, alle waren indiziert und ich konnte einen unglaubliche Ehrgeiz entwickeln, wenn es darum ging, diese Daten auf einem aktuellen Stand zu halten oder sie zu vervollstaendigen. Dann setzte das Denken ein. Es gab schon mehrmals die Zeit, in der ueber Menschen Buch gefuehrt wurde -- gerade wir in Deutschland sollten uns dessen doch bewusst sein. Datensaetze, Akten, wo ist der Unterschied? Ein Archiv ueber so etwas zu fuehren ist kein Gewinn, es ist ein Verlust an Menschlichkeit. Nicht nur weil das Vergessen menschlich ist, sondern weil Menschen mehr sind als Daten und Zahlen. Datenhaltung kann Menschen gefaehrlich werden, kann sie toeten. Ich moechte nicht, dass meine Daten bzw. die, die ich ueber andere habe, Menschen kompromittieren (koennen). Seither verfolge ich eine radikale "no log" Politik, treibe meine Mitmenschen damit in den Wahnsinn, dass ich eMail-Thread leosche, wenn ich der Meinung bin, dass sie zu genuege beantwortet sind -- kommt dann doch eine verspaetete Nachfrage, muss ich eben nachfragen, mir den Kontext, das Backlog schicken lassen. Ich selbst habe es nicht mehr und das ist auch gut so. Was meine Kontakte angeht, so habe icht seither nur eine .aliases Datei, die die Mail-Adressen und Nickanmes einiger Menschen speichert -- und selbst diese Datei raeume ich regelmaessig auf. Dazu gesellt sich noch ein generisches Notizbuch, um mal eben schnell Kontaktdaten aufzuschrieben. Doch meine steten Bemuehungen, die sozialen Gefuege der Gesellschaft besser verstehen zu koennen, fuehrten leider dazu, dass ich immer mehr Informationen sammeln sollte, weil es eben zur Norm gehoerte. Es wurde von mir erwartet, Dinge zu wissen, die ich selbst als be- langlos eingestuft hatte und ein vergessener Geburtstag auf meiner Seite scheint ja schwerer zu wiegen, als die vergessene Einladung zu einer Geburtstagsfeier fuer diesen wirren Facebook-Veweigerer, der ich bin. Von daher plagen mich schon laenger Gedanken, ob und wie ich meine Kontaktverwaltung neu gestalten will. Natuerlich koennte ich wieder zuruek zu vCards gehen, deren Vorteil auf der Hand liegt: Es ist ein wohletablierter, offener Standard, der auch u.a. von Mobil- Telefonen genutzt wird. Die Informationen sind in Plaintext ge- speichert, so dass ich sie mit den ueblichen Unix-Tools leicht so nutzen koennte, wie es mir richtig zu sien scheint -- die vor- gefertigten Tools sind leider meist veraltet, grafisch oder schlicht verbuggt. Ausserdem ist der vCard-Standard eng mit dem vCalendar -- heute besser als iCal bekannt -- und vJournal verwandt. Leider bin ich schlecht darin, mich dann nur auf das benoetigte zu be- schraenken; man koennte ja dieses "Blog" nicht als Mails, sondern als Journals in einem iCal pflegen und veroeffentlichen. Eine andere Idee war, dass man dafuer ja die im System vorhandenen Mittel nutzen koennte, sprich den Blanko-Eintrag in der /etc/passwd. Klingt zwar absurd, aber ich "leide" schon laenger darunter, dass Unix viele grundlegenden Funktionen fuer den Alltag schon parat hat -- so eben auch fuer die Benutzer- und/oder Kontaktverwaltung -- aber diese nicht mehr genutzt werden. Im konkreten Fall ist das natuerlich verstaendlich, denn man dachte damals vornehmlich an innerbetriebliche Kontakte, sodass Informationen wie Geburtstage eher nicht vorgesehen waren. Genauso ist man erstmal auf die lokalen Nutzer beschraenkt und erst als Finger (o.ae.) auch netzwerkfaehig wurde, konnte man wirklich theoretisch auch Remote-Nutzer erreichen. Letztere Ueberlegungen fuehrten mich wieder weg von meinem Vorhaben, denn warum sollte ich mich damit beschaeftigen, Kontaktdaten zu speichern und zu pflegen? Warum nicht die Gegenseite? Es ist doch fuer jeden selbst am einfachsten, an einer bekannten Stelle seine eigenen Kontaktdaten fuer alle zugaenglich zu haben. Finger hat es vorgemacht und Jabber bringt es in die XML-Wunderwelt von heute: Die Nutzer haben eigene xCards, also XMLifizierte vCards, die sie selbst pflegen und aktualisieren sollen. Andere Nutzer koennen diese dann abrufen. Leider werden solche Moeglichkeiten heute von kaum jemand -- auch von mir nicht -- genutzt, zu tief sitzen wohl die schlechten Erfahrungen, die man mit einem aehnlichen Modell in den Anfangszeiten von ICQ und Co. gemacht hat. Einzig und allein die Avatar-Funktion, die Moeglichkeit kleine User- bildchen einzubetten, ist inzwischen weit verbreitet. Interessant ist, dass hier wie auch bei den Nutzerbildern, die manche Betriebs- systeme oder Webservices anbieten, meist nur Symbole genutzt werden, keine echten Bildern; einen Umstand, den erst die sog. "sozialen" Netzwerke und Smartphones langsam loesen. Sie machen es so leicht (oder erfordern es gar) echte Bilder zu nutzen -- wer wohl davon profitiert -- dass der innere Widerstand, sein echtes Anlitz publik zu machen, in kurzer Zeit merklich nachgelassen hat. Aber noch ist nicht alles verloren: Der Klarnamenzwang sorgte erst letzens bei Google+ wie auch Facevook fuer Aufregung und viele Nutzer sind sehr kreativ darin, ein Profilbild zu erstellen, dass sie selbst -- wie in den meisten AGB gefordert -- zeigt, aber doch nichts preisgibt. Zurueck zum Thema: Auf der GPN habe ich auch mit meillo darueber gesprochen und nachdem wir erst OpenPGP-Keyrings mit den Kontakten entsprechenden UIDs verwenden/missbrauchen wollten -- mit der datenschutzrechtlich bedenklichen Option ueber die Keyserver von ueberall Zugriff auf das "Adressbuch" zu haben -- sind wir dann wieder bei Mail gelandet. In ein paar Minuten hat meillo sein mmh so modifiziert, dass es die Kontaktinformationen aus mit Zusatzhaedern versehenen Mails rauspopelt. Ich finde das sehr gelungen, weil es fuer mich ein weiterer Schritt zur "unified communication". Unix-Philosophie? One Tool, one job -- das haengt ganz und gar davon ab, wie man die Aufgabe formuliert :) Trotzdem werde ich das vorerst nicht einsetzen, zu sehr ueberwiegen die Gedanken, dass Datensammlungen boese Folgen haben koennen. Und weil jetzt PGP angesprochen wurde. Auf dem "What to hack?"- Eroeffnungsvortrag der GPN wurde Werbung fuer Keysinging gemacht, dass so schoen mit "Speeddating fuer Nerds" umgschrieben wurde. Ich finde die Vorstellung amuesant und warte eigentlich nur darauf, bis es normal ist im Cafe zu sitzen und jemanden mit "Hey, ich wuerde gern deinen Key signieren. Erzaehl doch mal mehr von dir." anzusprechen. Vielleicht funktioniert das auch bei den Co's... ...aber eigentlich wollte ich auf das Web of Trust raus. Das ist in gewisser Weise auch ein "Social Network", auch wenn es hier nur zwei Werte gibt: signed und nicht. Ausserdem ist die Intention natuerlich eine andere. Waehrend bei PGP alle Informationen frei verfuegbar sind und man sie nur unterschiedlich gewichtet, ist das "Friends of Friends" Modell ein Gatekeeper: Informationen sind nur fuer bestimmte Vertrauensstufen sichtbar. Einschaetzungen, ob das Profil zu einer bestimmten Person gehoert oder wie richtig Informationen sind, sind nur indirekt abzulesen. Um die Nachteile die eine Nichtnutzung von FB usw. mit sich bringen etwas auszugleichen und meinem chronisch schlechten Gedaechtnis etwas auf die Spruenge zu helfen, hatte ich schon mal die Idee in den vCards auch noch die jeweiligen Freunde oder Kollegen einer Person zu speichern -- da vCards auch mit UUIDs versehen werden koennen ist das ja kein Problem. Die Implementierung war zwar nicht wirklich gut, aber prinzipiell hat es funktioniert. Auch wenn man natuerlich nicht im Voraus mitbekommt, welche Personen man uebe rwelche Ecken kennt, kann man doch im Nachhinein sehr interessante Erkenntnisse gewinnen: Sein eigenes soziales Netz mal zu analysieren und zu visualisieren ist wirklich Gold wert; ich weiss nicht, ob sich die ganzen FB-Nutzer sich das mal angeschaut haben... Da ich jetzt schon wieder abschweife, komme ich mal zum Punkt: 1. Datensammlungen sind zu vermeiden. 2. Kontaktinformationen sollten hauptsaechlich durch die Kontakte selbst aktualisiert werden. 3. Man muss sich also nur eine UUID pro Kontakt merken, mit der man dann an diese Informationen kommen sollte. 4. Finger und Jabber bieten das technische Ruestzeug, sind aber leider nicht verbreitet genug. [Und was Jabber betrifft waere ich fuer eine Umsetzung der Unix-Tools talk, finger, who usw. auf XMPP-Basis dankbar.] Ich werde jedenfalls vorerst nicht wieder mit der Sammlerei anfangen und wie bisher nur Name und Mail/Jabber-Adresse speichern. Telefon- und Handynummern wechseln zum einen zu schnell, zum anderen werden sie irrelevant, da inwzischen auch die Normalbevoelkerung immer haeufiger zu Online- Kommunikationsformen greift. Geburtstage sind noch ein offenes Thema, werden aber wohl wie "normale" Termine von meinem Mail-Setup bearbeitet werden.