From: Boris Kraut Date: Tue, 11 Sep 2012 22:43:03 +0200 Category: Message-ID: <20120911224303.lqZ0S4@silberbruch> Organization: Keywords: Comments: To: undisclosed-recipients: ; Subject: [.plan] Gleichbehandlung Ich habe mich schonmal ueber das Thema Gleichheit aus- gelassen und immer noch scheint es ein allgemeines Un- versatendnis ueber den Begriff zu geben. Gleichheit ist ein schoener Wert, etwas was man sich gern auf die Fahnen schreibt, doch es im Alltag zu leben scheitn schwer zu sein -- insbesondere wenn man sich selbst noch gar keine tieferen Gedanken gemacht hat, was man damit genau meint. So heisst es im Grundgesetz nicht, dass alle Menschen gleich sind, sondern dass "alle Menschen [...] vor dem Gesetz gleich [sind]. Damit ist erstmal nur das deutsche Rechtssystem betroffen. Klingt hart? Nicht wirklich, denn was man verkuerzent unter "alle Menschen sind gleich" zu- sammenfasst ist eigentlich nicht der Gleichheitsartikel des GG, sondern eher Artikel 1: "Die Wuerde des Menschen ist unantasbar. Sie zu achten und zu schuetzen ist Ver- pflichtung aller staatlichen Gewalt." Und was ist schon gleich? Wir Menschen sind gleich, weil wir Menschen sind -- und wenn wir schon nicht mit Tieren verbruedern wollen, was waere, wenn wir eine neue "Krone der Schoepfung" treffen, eine hoeher entwicklete Lebens- form.. gelten dann unsere ganzen schoenen Wuerden und Rechte auch fuer sie? Oder gar nur fuer sie? Ich schweife ab.. -- aber wir sind nicht gleich in einem anderen Sinn: Wir sind unterschiedlich. Wir haben verschiedenste Faehig- keiten und Fertigkeiten, aber auch Fehler. Und das ist kein Makel, das ist gut so! Diversitaet ist ein essenzieller Be- standteil unseres Selbst und der Gesellschaft. Diese Diversitaet macht den Gleichheitsbegriff auch ander- weitig problematisch, Stichwort Verteilungsgerechtigkeit: Geben wir jedem das gleiche? Oder machen wir so etwas ab- haengig von der jeweiligen Situation? Wollen wir das wir ueberall 50% Frauen wie auch 50% Maenner haben, schoen gleichverteilt? Was ist mit denen, die sich keiner Gruppe zuordnen koennen/wollen? Und was ist mit denen, die auf "gleiche Leistung" pochen -- also die Gleichverteilung nur dann akzeptieren koennen, wenn auch die Leistungen bzw. die Qualifikationen gleich sind? Und wie messen wir diese? Geht man davon aus, dass die Qualifikationen auf mehreren Gebieten abgeprueft werden, die aber gleich- gewichtet werden? Ungleichheit ueberall, und doch muss eine Entscheidung gefaellt werden. Diese Entscheidungen faellt natuerlich der jeweilige Ent- scheider selbst, bzw. gesamtgesellschaftlich die Politik -- das Problem: Es wird hier meist eine Ideologie vertreten, man will nicht die Entscheidungsfindung verbessern, sondern bestimmte Ziele erreichen. Es geht also darum -- z.B. bei der Frauenquote (siehe letztes Zitat des Tages) -- eine bestehende Ungleichheit mit einer anderen Ungleichheit "wieder gut machen". Ob man den "Geholfenen" oder der Idee der Gleichheit damit wirklich einen Gefallen tut, ist fraglich. Bitte nicht falsch verstehen, ich bin nicht gegen einen groesseren Frauenanteil z.B. in Fuehrungspositionen -- ganz im Gegenteil: Ich wuerde mir das sogar wuenschen! Doch Quoten sind ein schlechtes Mittel. Was wir brauchen ist zum einen eine gezielte Foerderung der Jugend in allen Bereichen, damit diese selbst ihre Faehigkeiten erfahren koennen, selbst erkennen koennen, wo ihre Staerken und Schwaechen liegen, selbst die berufliche Zukunft waehlen, die sie fuer sich selbst sehen. Der zweite Punkt ist, dass man die Auswahlverfahren selbst transparenter machen muss. Es kann nicht sein, dass dort gezielt z.B. weibliche Bewerber benachteiligt werden, dass alte Seilschaften mehr zaehlen, als Fertigkeiten. Das durch- zusetzen wird gerade in der Privatwirtschaft natuerlich mehr als schwierig, mit einer "Selbstverpflichtung" ist es da nicht getan. Die Idee der Quote setzt imho am falschen Ende an, ist aber im Gegensatz zum Zitat nicht verfassungs- widrig, denn: > (2) Maenner und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat > foerdert die tatsaechliche Durchsetzung der Gleich- > berechtigung von Frauen und Maennern und wirkt auf die > Beseitigung bestehender Nachteile hin. Das Ausgleichen, Wiedergutmachen ist also Teil des GG, wobei das Ziel wie gesagt nicht eine festgeschrieben Quote von oben sein sollte, sondern transparentere und angreifbare Entscheidungs- prozesse. Ueber ein aehnliches Problem beklagte sich letztens meillo [0] ausgelassen. Bei ihm ging es u.a. um das kleine Saetzchen, dass "Behinderte [...] bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt [werden]". Ist das nicht ungerecht? Vielleicht muss ich einfach damit leben, dass meine Behinderungen eben nicht anerkannt werden bzw. ich dies auch gar nicht moechte? Oder ist nicht die Be- hinderung an sich schon ein Indiz fuer eine geringere Eignung? Auch hier sagt das GG ganz klar, dass es hier nicht um Gleich- heit geht: > (3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, > seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines > Glaubens, seiner religioesen oder politischen Anschauungen be- > nachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner > Behinderung benachteiligt werden. Wir haben hier also im GG viele Items, die weder Bevorzugung noch Benachteiligung sein duerfen, doch bei Behinderungen geht es nur um die Vermeidung von "Benachteiligung". Mag ungerecht klingen, ist aber ein Grundsatz unserer Verfassung -- wenn auch dieser in der Urfassung des GG nicht enthalten war. Das Problem ist, dass solche Saetze gut gemeint, ja sogar noetig sind, aber sowohl deren Existenz wie auch deren Fehlen zu sehr gefaehrlichen Gedanken fuehren koennen. Ich glaube, dass die Frage der Gleichheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit einer breiten gesellschaftlichen Diskussion beduerfen. Die Frage ist, bekommen wir es hin, dass jeder seinen Beruf, seine Berufung findet, dafuer die finanzielle und soziale Anerkennung bekommt, die er benoetigt? Und wer erledigt die unliebsamen Aufgaben? Maschinen? Abermals: Fragen ueber Fragen... [0] http://marmaro.de/apov/txt/2012-09-07_datensammler.txt