From: Boris Kraut To: undisclosed-recipients: ; Date: Thu, 30 Jan 2014 21:44:16 +0100 Message-ID: <20140130214416.Va8V3d@busy.local> Reply-To: Boris Kraut Subject: [.plan] Re: Der tiefe Staat: Democracy Down Da es einige Reaktionen gab, muss ich doch wohl nochmals auf einige Dinge hinweisen -- nochmals, weil prinzipiell habe ich das schon mal in einem Artikel von 2002/2003 oder so gemacht.. ja, ich sollte das Archiv wirklich mal veroeffentlichen: Ich mag mich nicht klar ausgedrueckt haben, aber mein Artikel ist nicht im Widerspruch zum letzten Zitat. Ja, auf der einen Seite sage ich, "dass es kein Super-Grundrecht auf Sicherheit gibt", und direkt darauf geht es um Sicherheit und gewalthaltigen, chaosartigen Ur- zustand aus dem sich Staat entwickelt. Aber bitte genau lesen: > Der Primaerzweck des Staates liegt danach in der Absicherung der > Freiheit Absicherung? Ja! Aber Absicherung der Freiheit. Wir schraenken unsere Freiheit ein und geben dem Staat ein Gewaltmonopol, damit dieser unser Zusammenleben und unsere restlichen Freiheitsrechte schuetzt. Wenn er aber auf die Idee kommt, dass die Sicherheit an sich das Ziel ist und immer weiter an unseren restlichen Freiheiten (und Abwehrrechten gegen einen uebermaechtigen Staat) Raubbau betreibt, dann missachtet er seinen Auftrag. Wenn dann die ersten beginnen das Gewaltmonopol auf- zukuendigen, dann wird es wirklich gefaehrlich -- fuer den Staat, wie auch vor allem fuer seine (Noch-) Buerger. Dazu muss man nur ein wenig in die Nachrichten schauen. Und noch schlimmer: Es geht ja offensichtlich nicht mehr um Sicherheit, es geht um Kontrolle. Es geht um Geld. Kurz: Es geht um Macht. Dazu u.a. formuliert Sascha Lobo [0] treffend: > Sieht man von taktischen und lobbygeborenen Argumenten ab, speist > sich der politische Wunsch nach mehr Ueberwachung aus zwei Quellen: > > > 1. aus der Hoffnung, mehr Ueberwachung ergaebe mehr Sicherheit; > 2. aus der Gewissheit, dass mehr Ueberwachung mehr Buergerkontrolle > bedeutet. > Letzteres wird natuerlich nicht gesagt, damit kann man ja nicht punkten, aber wenn man sich anschaut, wie wenig von der Sicherheit wirklich bleibt... > Sicherheitsesoterik ist in ihrer Wirkung deshalb so gefaehrlich, weil > sie sich schlicht dagegen wehrt, von unabhaengiger Seite evaluiert > zu werden. Es scheint, als seien alle Erkenntnisse ueber die Realitaet > seit der Aufklaerung, jedes evidenzbasierte Vorgehen irrelevant. Wo > Esoterik herrscht, muessen Fakten, Analysen, Realitaeten zurueck- > stehen, die Begruendung ist allein die Behauptung, dass es halt so > sein muesse: > > - Vorratsdatenspeicherung, weil Sicherheit! > - Aber Beweis? > - Egal, weil Sicherheit! ...scheint klar zu sein, dass Punkt 2 das eigentliche Ziel ist... mal von Wirtschaftsfoerderung abgesehen. Ein weiterer Punkt ist die Definition von Sicherheit, meist unterteilt in innere und aeussere. Im Gegensatz zu "anderen (tm)" sehe ich auf seiten der inneren Sicherheit nicht nur Polizei, Gerichte usw., sondern auch eine soziale Absicherung: Teilhabe an der Gesellschaft. Und eine solche ist nur moeglich, wenn die entsprechende Infrastruktur -- diese zur Verfuegung zustellen ist damit also Aufgabe des Staates bzw. der Allgemeinheit, keinesfalls aber ein Feld, "das der Markt schon richten wird" -- verfuegbar ist und genutzt werden kann. Und mit Infrastruktur meine ich nicht nur Strassen, Strom, Wasser, Aerzte usw., sondern auch banale Dinge wie nen Dach ueber dem Kopf und was zu Essen zu haben... nichts luxurioeses, aber das Ueberleben MUSS gesichert sein. Und da wir gerade dabei sind: Keine Abkanzelung, kein Schaemen fuer das eigene Haben/Nichthaben, keine Villenviertel und Sozialghettos. Aber auch zur auesseren Sicherheit gab es ein Kommentar. Meillo schreibt... > Und der Staat macht aus dem Jeder-gegen-jeden ein Wir-gegen-andere. ...und zielt auf den "Weltstaat" ab, verwirft die Idee aber gleich mit der Frage, ob ein gewisses Gegeneinander nicht erst die noetige Einheit bringt: Kann es also einen Staat ohne einen anderen geben? Nun, ganz egal, wie "die anderen" organisiert sind, welche Staatsform oder ob ueberhaupt Staat, es wird immer andere geben. Einige Staaten versuchen das "Anderssein" zu schuetzen, andere versuchen es zu ver- nichten und wieder andere wollen alles "gleichmachen", also nochmals: Es wird immer "andere" geben und die Frage ist daher nur, wie man damit umgeht. Bei allem Schutz fuer diese, irgendwann ist der Punkt erreicht, wo ein Staat feststellt, dass gewisse andere eben die Existenz des Staates bzw. der Wertegemeinschaft gefaehrden und wird -- im Zweifelsfall mit Gewalt -- gegen sie vorgehen. Es wird also zu einem "Wir-gegen-andere". Vielleicht in der aktuellen Debatte aber die interessantere Frage: Wie wandlungs-/reform-/anpassungsfaehig ist ein Staat? Was ist wenn sich entsprechend viele Buerger nicht mehr zum Staat bekennen -- entweder weil dieser sich veraendert hat oder weil sie selbst eine andere Auspraegung moechten? Dann sind wir genau an der Stelle, an der der erste Artikel bzw. das Zitat ansetzen. Seufz. Ich denke es gibt hier noch so viel zu schreiben, vielleicht sollte ich das ganze mal etwas strukturierter und geordneter zu Papier bringen.. oder man liest sich die verschiedenen Theorien einfach mal selbst an... [0] http://www.spiegel.de/netzwelt/web/sascha-lobo-ueber-sicherheitsesoterik-und-staatliche-ueberwachung-a-945892.html [1] http://www.daten-speicherung.de/index.php/humboldt-ohne-sicherheit-keine-freiheit/