From: Boris Kraut To: undisclosed-recipients: ; Date: Tue, 11 Feb 2014 17:52:58 +0100 Message-ID: <20140211175258.lyggeU@busy.local> Reply-To: Boris Kraut Subject: [.plan] "Da sind alle" ist kein Argument, es ist das Problem. Die letzten Tage hatte ich einige Meinungsverschiedenheiten mit zwei (verschiedenen) Bildungsprojekten. Begonnen hat es damit, dass in einer Infoveranstaltung jemand eigenmaechtig einen Twitter-Account angekuendigt hat und ich das schlicht mit "finde ich nicht wirklich gut." kommentiert habe. Ich wollte keine Schlammschlacht und wer meine Art Mails zu schreiben und meine Einstellung zu Twitter kennt, der weiss, wie viel Muehe mich das gekostet hat... nun gut, es kamen andere Mails dazu rein, warum das so toll waere und das konnte ich dann nicht auf mir sitzen lassen und habe versucht relativ sachlich -- das ging so weit, dass ich mich abseits der Mailingliste immer und immer wieder rueckversichert habe.. bei der Person, die das auf ihre Folien geschrieben hatte und selbst bekennend Twitter nutzt -- die Argumente zu entkraeften. Die "Gegenseite" hat mir durch die Blume Fundamentalismus vorgeworfen, dass ich genau das, was wir bewirken wollen -- einen kritischen Umgang, ein Abwaegen von Fuer und Wider -- nicht machen wuerde. Was aber tat- saechlich passiert ist: Jede Seite hat den fuer sich seit Jahren erarbeiteten Standpunkt absolut gesetzt und auf das ganze Projekt uebertragen. Aber es geht nicht darum, wer warum Twitter nutzt, sondern darum, was wir als Projekt machen wollen. Und diese Frage haette man -- im Sinne eines kritischen Umgangs -- vorher, spaetestens aber jetzt klaeren muessen. Leider wurden meine Fragen, die einen konstruktiven Diskurs anregen sollten, komplett ignoriert. Weil ich nicht immer und immer wieder die selben Punkte der Gegenseite Mail fuer Mail entkraeften wollte, hatte ich dazu irgendwann ein Pad aufgesetzt, dass nur die eine Frage klaeren sollte: Was sind unsere Probleme, die wir mit Twitte versuchen zu loesen. Seufz. Ich hab sogar alle Argumente, die ich aus den Mails der anderen rausgelesen habe, schon dort eingetragen... Beteiligung von anderer Seite? Nahe null. Insbesondere wenn man weiss, dass der Twitter-Account schon seit Jahren inoffiziell existiert, aber bisher einfach nicht genutzt wird, sollte man vorher die Frage gestellt haben: Wir sind bisher ohne klargekommen, was wollen wir jetzt damit anfangen bzw. wen wollen wir damit erreichen bzw. ansprechen? Ein paar Punkte: - Es ist relativ selten, dass unsere Zielgruppen aktiv Twitter nutzen. Jugendliche -- das mag aber regional unterschiedlich sein, es gibt leider nicht mal verlaessliche gesamtdeutsche Zahlen -- scheinen sich hier nicht so sehr fuer Twitter, als fuer Facebook und WhatsApp zu interessieren. Auch Lehrer o.ae. sind nicht massenhaft auf Twitter vertreten, mit einigen sehr lautstartk wahrgenommenen Ausnahmen. Dito fuer Eltern, auch wenn sich das evtl. aendert, die aktuelle Aktivisten-Generation wird ja auch langsam aelter. - Womit wir bei der naechsten Gruppe waeren: Aktivisten, Medien- pedagogen usw. Also Personen/Gruppen, die aehnliche Aufgaben und Ziele haben, mit denen wir uns "vernetzen" koennten. Mal ab- gesehen, dass viele von denen nicht verstanden haben, was ein Werkzeug/Tool ist und was nicht -- Services, Dienste oder Dienst- leistungen sind es nicht -- ist diese Zielgruppe auch in der Lage andere technische Mittel wie Mail, Wiki, Etherpad, Feeds usw. zu nutzen. - Dritte potentielle Gruppe waeren "Entscheider", also Leute, die uns z.B. an Schulen holen oder zu Gespraechen anfragen. Auch die sind eher nicht auf Twitter bzw. wenn bevorzugen sie -- meiner Erfahrung nach -- eher Telefon und Mails. Abgesehen davon, sind die meisten Ortsgruppen schon selbst gut genug ausgelastet bzw. haben noch jede Menge Schulen und Jugendeinrichtungen in ihrem jeweiligen lokalen Umfeld, an die man aktiv herantreten koennte. Wir koennen gerade gar nicht so viel mehr Arbeit stemmen -- was evtl. dafuer sprechen wuerde, doch die zweite Empfaengergruppe etwas zu hofieren. Das wars eigentlich, was Kommunikation angeht und einen letzten Punkt, der davon unabhaengig ist, war der Wunsch nach einer Zeit- leiste als Dokumentation nach innen -- was machen andere Gruppen gerade -- wie auch nach aussen -- hey, wir machen dieses tolle Projekt und sind sehr aktiv. Die Aussenwirkung halte ich bei diesem Punkt fuer nicht sonderlich entscheidend: Wir muessen nicht so viel Werbung machen, wir haben gerade wichtigeres zu tun. Tue gutes und lass die anderen darueber reden! Schaden tut es natuerlich nicht. Zur Innenwirkung: Ja, waere schon nett, nur ist dafuer Twitter die beste Wahl? Wir haben diesen Content, den wir da verteilen wollen noch nicht. Wir muessten also so oder so erstmal jede Ortsgruppe dazu bringen, diese Inforamtionen in einem standardisiertem Format nach aussen zu tragen oder an einem zentralen Ort einzustellen -- weder jedem Zugang zu dem Twitter-Account zu geben noch jede Gruppe zu einem eigenen Twitter-Account zwangszuverpflichten noch einer einzelnen Person die ehrenvolle Aufgabe zuzuweisen, interne Infos weiterzuleiten, halte ich fuer besonders gut. Im Grund gibt's da nur Zweiloesung: Entweder ein Bot sammelt RSS-Feeds (o.ae.) ein, oder man kann diesem Bot von aussen Infos pushen (nur dann halt nicht ueber Twitter, sondern Jabber/IRC/Mail/whatever). In jedem Fall muss erstmal der Content erstellt und aggregiert werden. Womit ich weniger ein Problem haette: Wir haben einen offiziellen Feed und unbekannt betreibt einen Twitter-Account als Relay. Ver- bieten/Kontrollieren koennen wir das sowieso nicht, und was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss. Die Kommunikation mit anderen Aktivisten koennen ja gerne diejenigen, die sowieso einen Twitter- Account haben, "privat" erledigen. Am Schluss noch zwei Punkte zu dem leidigen "Da sind alle"-Argument: 1. Es ist eine Luege. Es sind nie "alle" bei Dienst X. 2. "Da sind alle" ist kein Argument, es ist das Problem. Insbesondere ist es dann ein Problem, wenn es sich um eine Dienst- leistung eines Dritten, eines zentralisierten und proprietaeren Anbieters handelt, dessen AGB ihm weitreichende Rechte ueber die eigenen Inhalte einraeumen und der schon bewiesen hat, dass er sich nicht um die Sicherheit seines Schlachtvieh..aeh seiner Nutzer interessiert. Jede offizielle Nutzung -- selbst dann, wenn wir es nur als "Relay" verwenden -- ist damit nicht nur die Zustimmung zu den AGB, sondern auch Werbung: Wenn selbst die das nutzen, wird das schon nicht so schlimm sein. Ja, Dinge nicht zu nutzen, nicht so weit verbreitete oder nicht so einfache Kommunikation zu verwenden bedeutet Arbeit, Anstrengung. Aber diese Anstrengungen sind es nicht nur wert, sie sind von fundamentaler Wichtigkeit. Konzerne oder Politik, die werden euch keine Freiheit schenken, ihr muesst sie euch selbst erarbeiten. Und wir? Wir koennen euch diese Arbeit nicht abnehmen. Wir helfen euch gern, wir zeigen euch die Tuer, aber durchgehen muesst ihr allein -- und wir werden garantiert nicht zu euch in den Knast einziehen, damit ihr nicht so weit laufen muesst. Wir werden nicht zu reinem Kabaret verkommen: Jeder Klatsch und findet's richtig, aber keine zieht die Konsequenzen. Wir sind aktiv-handelnde, selbstbestimme Personen. Was wollt ihr sein? Und ein letzter Nachsatz: Die Person, die mir als Rueckversicherung diente, war relativ schnell ueberzeugt: Eigentlich hast du recht. Danke fuers Gegenhalten, dass du uns mal den Kopf geraderueckst.