From: Boris Kraut Date: Sun, 30 Nov 2014 22:29:05 +0000 (+0100) Subject: Muendigkeit und der Ruf nach dem Staat X-Git-Url: http://git.marmaro.de/?p=krt-msg;a=commitdiff_plain;h=a5e563ed3cd059ded05f981c55db74bd63f218c6 Muendigkeit und der Ruf nach dem Staat --- diff --git a/2014-11-30T22:29:01Z.msg b/2014-11-30T22:29:01Z.msg new file mode 100644 index 0000000..a5052b4 --- /dev/null +++ b/2014-11-30T22:29:01Z.msg @@ -0,0 +1,105 @@ +From: Boris Kraut +To: undisclosed-recipients: ; +Date: Sun, 30 Nov 2014 23:29:01 +0100 +Message-ID: <20141130232901.KL_R2g@edupad.local> +Reply-To: Boris Kraut +Subject: [.plan] Muendigkeit und der Ruf nach dem Staat + +Am Donnerstag hat das Europaeische Parlament ueber eine Entschliessung ueber +Suchmaschinen abgestimmt. Keine Angst, es war ja nur eine non-legislative +resolution, nichts bindendes, aber darueber vielleicht ein anderes Mal. Was +mich eher nervt, ist Berichterstattung, die darauf abzielt, dass "die EU +endlich mal was fuer die Buerger tut". Das ist so natuerlich nicht richtig... + +..als ich am Donnerstag Morgen ein SWR-Interview mit einem CDU/EVP-Abgeordneten +zu dieser Resolution hoerte, habe ich mich schon etwas gewundert. Grob geht es +u.a. darum, dass Suchmaschinen (*hust* Google *hust*) eigene Produkte besser +bewerten und somit eine Monopolstellung haben. Der Vorschlag des Abgeordneten +-- Name leider entfallen -- war ein Rotationsverfahren. Google solle gezwungen +werden statt z.B. Google Maps bei entsprechenden Anfragen vorzuschlagen, auch +die Konkurrenz von Microsoft/Nokia/Yahoo/* regelmaessig als bevorzugtes Erebnis +zu liefern. + +Doch wer kommt in dieses Rotationsverfahren? Mir draengte sich der Verdacht +auf, dass z.B. OSM hier eher nicht gemeint ist. Es geht darum das "Gleich- +gewicht der Kraefte" unter den "grossen" zu gewaehrleisten, nicht um die +Foerderung von guten, freien und/oder innovativen Diensten. Deswegen spielt die +Frage, warum Google seine Dienste zuerst listet, also ob dies Vergleichs- +angebote denn besser sind -- in die Kerbe darf der ARD-Reporter dann in der +Tagesschau auch in einem Nachsatz hauen -- und absichtlich geblockt werden oder +ob Google einfach der Meinung ist, das beste Pferd im Stall zu haben, gar keine +Rolle. + +Ich wuerde hier eher wuenschen, dass Projekte wie OSM unterstuetzt werden, dass +man es endlich schafft eine freie (dezentrale?) Suchmaschine, bei der man den +Suchalgorithmus kennt (und selbst aendern kann), konkurrenzfaehig -- gerade was +die Benutzbarkeit angeht! -- zu gestalten. Seufz, aber es geht ja nicht um den +Nutzer, es geht darum ... + +> in Europa fuer alle Unternehmen [...] eine offene und faire Wettbewerbs- +> situation zu schaffen. + +Zumindest sagt dass Andreas Schwab (CDU/EVP) [1] und das EU Parlament selbst +[0] dazu: + +> The European Parliament called on EU member states and the European +> Commission to break down barriers to the growth of the EU's digital +> single market + +Also: Es geht nicht um euch, die Nutzer. Es geht um wirtschaftliche Interessen +(und auch ein wenig um die Frage, wer das Sagen hat, die Politik oder die/das +eine Unternehmen). Ich sage gar nicht, dass das immer (oder gerade im konkreten +Fall) negativ fuer den Nutzer, fuer den Buerger ist, nur er steht nicht im +Fokus der ganzen Aktion. + +Das ist jetzt gleich das zweite Beispiel in kuerzester Zeit -- das erste war +die Podiumsdiskussion -- dass mir mal wieder zeigt, wie verschiedene Akteure +zwar zur gleichen Analyse einer Situation kommen, aber sich die daraus ab- +leitenden Aktionen, die zu grundeliegenden Motivationen und die jeweilis +eigenen Interessen doch sehr stark unterscheiden. + +Die meisten scheinen im Endeffekt Macht zu wollen. Politiker scheinen sich +da teilweise noch unsicher zu sein, ob sie diese Macht bekommen, indem sie +ihre Politik dem Mehrheitswillen anpassen oder ob sie eher die Unternehmen +als Quell dieser Macht sehnen und damit diesen "gefallen" wollen. Oder aber +sie agieren einfach nur nach ihrem eigenen, momentanen Vorteil. Natuerlich +ist das alles eine ziemlich einseitige Sicht, aber ich meochte das auch gar +nicht weiter vertiefen, denn eigentlich wollte ich kurz ein paar Zeilen ueber +die Verbraucherzentralen schreiben, die ja im Gegensatz zu den Politikern ein +eher positives Ansehen in der Oeffentlichkeit geniessen. + +Was mir also bei der Podiumsdiskussion auffiel, ist, dass ich gleich am Anfang +ordentlich Kontra bekommen habe und das obwohl sowohl der Politiker, wie auch +der Verbraucher- und der Datenschuetzer eigentlich "auf der selben Seite" +Standen: Ich vertrat den Standpunkt, dass die AGB von Google und Facebook doch +recht eindeutig -- und fuer juristische Texte auch gut zu lesen -- sind, dass +es also erstmal an den Nutzern liegt, ob sie sich anmelden oder nicht. Der +Rest reagierte pikiert und verwies auf ein Urteil zum Thema "Spiele/Apps in +Facebook" -- also nicht das, was ich im "grossen und ganzen" gemeint habe.. +Auch die Politik sah eher sich als starken Mann gefordert, als einer simplen +Wahrheit zuzustimmen: Die Leute koennen (im grossen und ganzen!) sich ueber +die Rechte, die Sie Dritten einraeumen informieren. Die wenigsten tun es. Und +selbst die, die es tun, handeln nicht danach oder es ist ihnen egal/nicht +wert genug die Bequemlichkeit dafuer aufzugeben. Alle Vorteile einheimsen zu +wollen und dann per Gesetz und Juristerei die Nachteile zu fixen ist zwar +menschlich, aber falsch. Ich glaube nicht, dass wir damit unsere Probleme +loesen... Gesetze werden uns nicht retten. + +Das heisst natuerlich im Umkehrschluss nicht, dass ich gegen die Regulierung +bin, die Arbeit der Verbraucherzentralen oder die oben genannte Resolution +schlecht sind. Gesetze sollen Rahmen vorgeben, Gerichte ueber deren Einhaltung +urteilen. Sobald es aber Gesetze/Resolutionen gibt, die kleinteilig auf einen +speziellen Fall gemuenzt sind, sind Sie nicht die Loesung des Problems, sondern +reine Bekaempfung der Symptome... und sie sind gefaerbt, denn manchmal sind +diese "Loesungen" nicht Ausdruck der "Naechstenlieb", sondern dienen einem ganz +eigenem Machtinteresse. Und diesem Machtinteresse steht ein muendiger Buerger +meist entgegen: Nur wenn er unmuendig ist, wenn er nach dem schuetzenden +Staat (oder einer anderen starken Schutzorganisation) verlangt, gibt es +fuer manche Stellen eine Existenzberechtigung. Und je mehr man von diesen +fordert, desto maechtiger werden sie. + + +[0] http://www.europarl.europa.eu/news/en/news-room/content/20141125IPR80501/html/MEPs-zero-in-on-internet-search-companies-and-clouds +[1] http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-43623.html +[2] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Contra-Google-Entflechtung-Ein-politischer-Amoklauf-2468799.html +[3] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Pro-Google-Entflechtung-Internet-statt-Google-Net-2468554.html